Subtiles Spiel, treppauf, treppab

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Mit Elan und Tatkraft und dann wieder verzweifelt lässt Mateja Kolez nik das Josefstadt-Ensemble in Ibsens "Wildente" Stufen steigen und legt damit eine überzeugende, tiefgreifende Inszenierung vor.

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Mit Elan und Tatkraft und dann wieder verzweifelt lässt Mateja Kolez nik das Josefstadt-Ensemble in Ibsens "Wildente" Stufen steigen und legt damit eine überzeugende, tiefgreifende Inszenierung vor.

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Ibsens "Die Wildente" im Josefstädter Thea ter ist buchstäblich eine verstiegene Inszenierung. Die slowenische Regisseurin Mateja Kolez nik verfolgt eine gewagte Idee: Sie benutzt eine von der Seite gezeigte Treppe, lässt die Schauspieler auf und ab steigen, einmal voller Elan und Tatkraft, dann wieder müde und verzweifelt. Das Leben der Ekdals ist ein stufenreicher Gang. Eine kleine Leiter ermöglicht den Aufstieg zum Dachboden und gibt den Blick in die geheime Welt des Großvaters (Siegfried Walther) frei, der dort eine Wildente beherbergt.

Für die 14-jährige Hedvig ist sie das Alter Ego. Denn auch sie wird flügge, sehnt sich nach Freiheit und ist zugleich ein Schutz suchendes Mädchen, dem das elterliche Nest und vor allem die Zuneigung des Vaters Hjalmar alles bedeutet. Roman Schmelzer spielt ihn als selbstmitleidigen Familienvater. Was zählt, ist seine Stellung in der Gesellschaft, seine Bequemlichkeit. Er ist Fotograf, hält sich aber für einen genialen, aber verhinderten Erfinder. Seine Frau Gina (Gerti Drassl) hält alles Unangenehme von ihm fern, entwickelt die Fotografien, kümmert sich um Kundschaft, Buchhaltung und Haushalt.

Kolez nik etabliert von Beginn an die Verhältnisse: Gina hilft Hjalmar aus dem engen Smoking, bringt ihm die Hausjacke, kümmert sich um den dementen Schwiegervater und klagt selbst dann nicht, wenn die Männer über die frisch geputzte Treppe trampeln.

Sie nimmt alles hin bis Gregers Werle (Raphael von Bargen) auftritt, der Sohn des Großhändlers und ihres ehemaligen Dienstgebers. Im Bedürfnis, seine Mutter zu rächen, möchte er Aufklärung der verworrenen Verhältnisse erzwingen. Gregers ist mindestens so selbstzufrieden wie Hjalmar, dem er seinen Wahrheitszwang aufdrängt. Dass dabei längst unwichtig Gewordenes an die Oberfläche gerät und die eitlen Männer in ihrer Selbstgefälligkeit trifft, leitet die Katastrophe ein.

Subtil weist Kolez nik auf das Selbstverständnis der Figuren hin: Die Männer tragen Perücken, perfekte Frisuren, die ihr Gockel-Gehabe unterstreichen. Fast unbemerkt wandern ihre Blicke der jugendlichen Hedvig nach, die von ihrer erotischen Anziehungskraft noch keine Ahnung hat. Nur Gina erkennt die Zusammenhänge, schubst die Tochter zur Seite, weg von den gierigen Blicken und beäugt kritisch das pseudo-moralische Getue der Männer, die sich in Wirklichkeit nur in die eigene Tasche lügen.

Drassl ist in dieser Inszenierung die eigentliche Hauptdarstellerin. Sie ahnt, dass es keine allgemein gültige Wahrheit gibt, spürt, was unverrückbare Überzeugungen anrichten können. Drassls subtiles Spiel spiegelt die düstere Stimmung, sie verstummt, wo die Schwadroneure der vermeintlichen Wahrheit im Zerstörungsmodus laufen.

Treppe als Bild fürs Unbewusste

Kolez nik hat den Text stark gekürzt, damit bleiben die Motivationen im Vagen. Auch werden viele Passagen hinter verschlossenen Türen gesprochen, hörspielartig kommen Sätze aus dem Off, sie verweisen darauf, wieviel sich an Gedanken, Emotionen, Entscheidungen im Unbewussten abspielt und wie wenig davon sichtbar wird.

Die Treppe wird hier auch zum Bild für das Unterbewusstsein. Immer schneller und unaufhaltsam nimmt die Tragödie ihren Lauf. Neben Drassl überzeugt die junge Maresi Riegner als Hedvig.

Die Josefstadt hat mit dieser Inszenierung eine herausragende Produktion im Spielplan. Es ist zu hoffen, dass von Mateja Kolez nik mehr in Wien zu sehen sein wird.

Die Wildente Theater in der Josefstadt, 19., 20., 21., 24. Mai

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