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Die Autorin Sabine Gruber wurde mit dem Anton Wildgans-Preis 2007 der österreichischen Industrie ausgezeichnet. Wir veröffentlichen eine stark gekürzte Fassung der Laudatio.

„Wir werden durch glückliche oder unglückliche Fügungen geboren, und manchmal ist es sogar der Zufall, der uns auslöscht. Er korrigiert seine Fehler nicht“, schreibt Sabine Gruber in ihrem letzten Roman, „Über Nacht“, der als Höhepunkt ihres bisherigen Werkes gelesen werden kann. Wenig später lässt sie einen ihrer Protagonisten befinden: „Man kann sich auf den Zufall verlassen.“ Dass Sabine Gruber im September mit dem Anton Wildgans-Preis der Österreichischen Industrie ausgezeichnet wurde, hat mit dem Zufall nichts zu tun. Ihr literarisches Werk entspricht genau den Intentionen des Preises: Was vorliegt, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert und die Vorfreude auf die nächsten Arbeiten berechtigt.

Sabine Gruber, 1963 in Meran geboren und in Lana aufgewachsen, studierte nach der Matura Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft. Erste Publikationen in Literaturzeitschriften und Anthologien datieren seit 1984, 1996 erschien Grubers Roman „Aushäusige“, der durch seine komplexe Erzählstruktur faszinierte. Gruber spielt darin mit einem fortlaufenden Perspektivenwechsel, changiert zwischen den Erzählstimmen, der Innen- und Außensicht wie zwischen Schauplätzen und den Zeiten. Protagonisten sind ein der ländlichen Welt entkommenes Geschwisterpaar, Orte der Handlung Venedig und Wien, aber auch Klagenfurt, in dem sich Gruber 1994 als Stadtschreiberin aufhielt. Der Aufenthalt der Geschwister an diesen Orten führt allerdings – wie der Titel suggeriert – zu keiner emotionalen Verortung. Gruber lässt die Lesenden anfangs raten, in wessen Gedanken sie sich befinden, wessen Weg sie begleiten, da eine bestimmte Erzählform nicht automatisch entweder der in Venedig und ihrer Ehe gescheiterten Rita oder dem in Wien als Journalisten ernüchterten Anton zu eigen ist. Die Sprache der beiden ähnelt sich auch zu sehr, um hier zu einer raschen Entscheidung zu kommen, erst der Inhalt führt immer wieder zur Klärung.

Sprache und die Suche nach Verortung, letztlich aber immer das Unbehagen und die Fortsetzung der Suche sind die Leitmotive in „Aushäusige“. In Grubers zweitem Roman, „Die Zumutung“, steigert Gruber das Unbehaustsein zur existenziellen Erfahrung. Denn die Protagonistin Marianne ist aufgrund einer Schrumpfniere mit dem konkreten Wissen um das Ablaufen ihrer Lebenszeit belastet. Als chronisch Erkrankte sucht sie sich im Leben zu verankern. Ihre Gegenwart, die sie als verbliebenen Rest des Lebens wahrnimmt, gewinnt dadurch eine andere Wichtigkeit als die Gegenwart von Menschen, denen die Endlichkeit ihres Daseins glücklich entfallen ist. Der fehlerhafte Körper erzwingt eine fortlaufende Selbstbeschäftigung, erzwingt die Suche nach einer Art Gebrauchsanweisung für ihn. Welche Zumutung es ist, das Ablaufen der Lebenszeit als ständigen Begleiter zu haben, ist in diesem Buch feinfühlig und ungeschönt herausgearbeitet.

Illusion ungebrochenen Wohlbefindens

Die begeisterten Kritiken wiesen darauf hin, dass er auch komische Seiten habe, das Tragische nicht tragisch dargestellt sei, die Lakonie der Betrachtung keine Sentimentalität aufkommen ließe. All das stimmt, und die Autorin verschont die Lesenden so auch von der Versuchung, sich empathisch in die Hauptfigur hineinzulassen. Die Darstellung der Nebenfiguren – Künstler und mit dem Kopf arbeitende Menschen – verstärkt das Gefühl der Distanz, das die Autorin zu ihren Figuren einnimmt und auch den Lesenden nahelegt. Denn obwohl Marianne mit ihrer ganzen Sehnsucht nach Leben gegen den Tod strampelt, besteht etwas in der Schilderung der Hauptfigur darauf, sie aus dem Angebot für Identifikation herauszunehmen. Vielleicht mag es aber auch daran liegen, dass die Illusion des ungebrochenen körperlichen Wohlbefindens unsere Gesellschaft dominiert, Krankheit als vorübergehendes Übel, das möglichst schnell wieder verdrängt werden kann/muss, gehandelt wird.

Chronische Krankheit, der schleichende, dauernde Prozess, beschäftigt die Autorin nicht nur in diesem zweiten Roman, sie wird als Thema im dritten zurückkehren. Allerdings ist mit der Distanzmöglichkeit der Lesenden Schluss bei Grubers bislang letztem Roman. Dieser überaus kunstvoll komponierte Text lässt die Lesenden schnell in die Figuren, Irma und Mira, hineinwachsen. Irma lebt mit ihrem kleinen Sohn, Produkt einer kurzen Affäre mit einem italienischen Liebhaber, in Wien. Sie wartet auf eine Spenderniere, um die Zeit der Dialyse hinter sich lassen zu können. Entgegen der Vermutung „Wer in der Nacht anruft, kann nur der Tod persönlich oder dessen Botschafter sein“ erfolgt zu Beginn des Buches die Einladung zum besseren Leben. Eine Spenderniere ist bereit und Irma die Glückliche, die sie erhält. In der Folge wird sie allerdings vom Gedanken geplagt werden, welcher Mensch sein Leben verlieren musste, um ihres zu verlängern und zu verbessern. Und sie wird beginnen, diese Frage zu einem Anreiz für ihre Gedanken und Recherchen zu machen. In Rom ist Mira, die einfühlsame Pflegerin von alten Männern, zwar mit einem funktionierenden Körper ausgestattet, aber ihre Ehe geht gar nicht mehr gut. Auf der Suche nach Erklärung wird Mira klar, dass ihr Mann sich nicht mehr von Frauen sexuell angezogen fühlt – Irmas Bruder, ebenfalls homosexuell, betrügt wiederum seinen Lebensgefährten.

Der verschollene Vater von Irmas Sohn taucht als Neffe eines Patienten von Mira auf und verführt die verwirrte und gekränkte Frau. Aber nicht genug mit diesen Spiegelungen und Berührungspunkten, die Autorin führt die beiden Frauen am Schluss des Textes mit einem Kunstgriff zusammen. Jetzt greifen die Erzählungen so ineinander wie der Strich eines liegenden Achters in sich selbst zurückfließt. Diese überraschende Wendung am Schluss des Romans ist deshalb so beeindruckend, weil die Autorin die Erzählung nicht einem Konzept unterwirft, das sich selbst feiert, sondern das Konzept sich organisch während des Lesens als untergründige Basis entwickelt, die dem Text nur dient, ihn aber nicht dominiert.

Sabine Grubers literarische Beschäftigung mit der Suche nach einer selbstverständlichen, ungestörten Behausung in einem gestaltbaren Zustand, sei es nun an einem Ort oder in einer Beziehung oder im eigenen Körper, hat über drei Romane hinweg eine große Tiefe und literarische Gewichtigkeit entwickelt. Denn wenn wir in der Spaßgesellschaft kein Anrecht auf Probleme haben und das Konzept „survival of the fittest“ längst flächendeckend nicht nur für die biologische Evolution gilt, ist Widerstand nötig.

Überwindung des Todes durch die Kunst

In „Die Zumutung“ hat Marianne ein Wort für die Gesunden, die ihren Körper nicht lesen können müssen: „Körper-Analphabeten“ ist dieser so treffende Ausdruck. Jene, die nicht herausgefordert sind, die Sprache des Körpers zu lernen, die aufgrund von Gesundheit sich lange niederlassen können in ihrem Körper mit der (manchmal wohl nur vermeintlichen) Aussicht auf ungestörte weitere Jahre, können sich den Hochmut gegenüber einer medizinischen Forschung oder Organtransplantation leisten. Ein Thema bei Gruber; allerdings ist in jedem dieser Romane auch das Schreiben ein Thema: Während Anton als Journalist seinen Ausweg aus der Beschränkung der Heimat und Herkunft sucht, erhofft sich Marianne: „Man muss den Tod in ein Gespräch verwickeln, ihn ablenken. Er arbeitet weniger schnell, wenn man mit ihm spricht.“ Irma schließlich erschreibt sich das Leben der Organspenderin, deren Niere ihr Leben verlängern und verbessern kann. Die Autorin greift damit den Faden auf, den alle Kunst schaffenden Menschen mit ihrer Arbeit ergriffen haben: jenen der Überwindung des Todes durch die Kunst.

Jury

Die Schriftstellerin Barbara Neuwirth, Grubers Laudatorin, war ebenso Mitglied der Jury wie Marianne Gruber (Österreichische Gesellschaft für Literatur) und der Innsbrucker Germanist Johann Holzner (Brenner-Archiv).

„Wenn wir in der Spaßgesellschaft kein Anrecht auf Probleme haben und das Konzept ‚survival of the fittest‘ längst flächendeckend gilt, ist Widerstand nötig.“

„Sabine Grubers literarische Arbeit hat über drei Romane hinweg eine große Tiefe und Gewichtigkeit entwickelt.“

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