Suche nach Schalthebeln

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Die Immuntherapie weckt große Hoffnungen in der Krebsbehandlung. Beim Europäischen Krebskongress in Wien wurden die jüngsten Erkenntnisse präsentiert.

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Die Immuntherapie weckt große Hoffnungen in der Krebsbehandlung. Beim Europäischen Krebskongress in Wien wurden die jüngsten Erkenntnisse präsentiert.

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Sich mit einer gehörigen Portion Realismus zu wappnen, darauf sind Krebsspezialisten geeicht. Sie sind es gewohnt, den Begriff "Optimismus" mit dem Attribut "vorsichtig" zu verbinden. Denn ihre Erfahrung lehrt: Was theoretisch ein vielversprechender Therapieansatz sein mag, stößt in der Praxis dann doch leicht an seine Grenzen. Angesichts der Innovationen im Bereich der Immuntherapie aber sprechen mittlerweile auch zurückhaltende Experten von einem therapeutischen Durchbruch.

"Checkpoints" im Immunsystem

"Zum ersten Mal war es möglich, lang anhaltende Tumorrückbildungen auch bei schwierig zu behandelnden Tumoren wie etwa Lungenkrebs oder dem schwarzen Hautkrebs zu erreichen", berichtet der Wiener Krebsforscher Michael Miksche. "Erstaunlich ist, dass hier allein durch Einwirkung auf das körpereigene Immunsystem Tumorrückbildungen erzielt werden. Das ist eine uralte Hoffnung, die wir schon lange verfolgt haben." Der Krebsspezialist Christoph Zielinski vom Wiener AKH schlägt in die gleiche Kerbe und geht davon aus, dass die Immuntherapie "die Landschaft der Krebstherapie völlig verändern" wird. Beim Europäischen Krebskongress, der kürzlich mit Zielinski als lokalem Organisator in Wien stattgefunden hat, wurde extra eine zusätzliche Session zur Immuntherapie eingerichtet, um die zahlreichen Studiendaten zu präsentieren.

Patienten in einem fortgeschrittenen, metastasierten Stadium zu sehen, die unter einer Standardtherapie eine Prognose von Wochen bis wenigen Monaten hatten und mit der Immuntherapie nun schon mehrere Jahre leben, mutet in der Onkologie wie eine Revolution an. Weltweit läuft daher die Suche nach neuen Substanzen, die das Immunsystem dazu befähigen sollen, den Krebs zu bekämpfen. Wie aber funktioniert die Aktivierung des Immunsystems durch Medikamente?

Krebszellen können sich verschiedener Schalthebel bedienen, um sich der Kontrolle des Immunsystems zu entziehen und "freie Fahrt" für ihr Wachstum zu erhalten. Forscher sprechen von "Checkpoints" im Immunsystem, die der Tumor zu besetzen versteht. Genau diese Mechanismen sollen mit den neuen Medikamenten durchbrochen werden: Ihre Wirkstoffe sind Antikörper, die gezielt an den "Checkpoints" andocken. "Durch ihre Wirkung wird die Bremse zwischen den Immunzellen aufgemacht, und die körpereigenen Abwehrzellen können gegen den Tumor wirksam werden", erläutert Michael Miksche.

Aber selbst bei den vielversprechenden Indikationen wirkt die Immuntherapie nur bei einem Teil der Patienten. "Es zählt zu den großen Hoffnungen, dass man nun auch Erkenntnisse dazu erhält, welche Personen auf diese Therapie ansprechen", so Miksche. Auch die Frage, inwieweit sich Immuntherapeutika mit den herkömmlichen Behandlungsmöglichkeiten wie Operation, Bestrahlung und Chemotherapie kombinieren lassen, wird aktuell in klinischen Studien untersucht. Dies gilt auch für die Kombination mit neuen Wirkstoffen, die zielgerichtet in die biochemischen Prozesse des Tumorwachstums eingreifen.

Mangelndes Bewusstsein

In der Krebstherapie sollen die Tumore nun "an allen Ecken und Enden" attackiert werden, wie die Forscher beim Kongress betonten. Folgt man den Visionen der Pharma-Industrie, geht der Zug in Richtung "personalisierte Medizin", einer individuell maßgeschneiderten Therapie, die sich an den biologischen Eigenschaften des Tumors orientiert. So zeigten sich bei Brustkrebspatientinnen mit wiederauftretendem Krebs genetische Unterschiede zwischen dem Rezidiv und dem ursprünglichen Tumor. Die Konsequenz: Das Wiederauftreten einer Krebserkrankung sollte eigentlich als Neuerkrankung aufgefasst werden, die einer veränderten Therapie bedarf - angeleitet durch die Ergebnisse regelmäßiger Gewebsproben. Damit sich der Trend zu einer längeren Lebenserwartung fortsetzen kann, ist auch eine verbesserte Früherkennung essenziell. Im europaweiten Schnitt sind 82 Prozent der Brustkrebspatientinnen fünf Jahre nach der Diagnose noch am Leben; beim Lungenkrebs sind es nur 13 Prozent. Das liegt auch daran, dass es zum Zeitpunkt der Diagnose bei drei Viertel der Lungenkrebspatienten bereits zu spät für eine heilende Behandlung ist.

Für den Erfolg der Früherkennung wiederum ist das Bewusstsein in der Bevölkerung relevant. Dass dies "in Sachen Lungenkrebs noch miserabel" sei, betonte Regine D. Ihlen vom europäischen Lungenkrebs-Selbsthilfe-Netzwerk. Laut Umfragen glaube die Mehrheit der Befragten fälschlicherweise, dass Lungenkrebs ausschließlich eine Raucherkrankheit sei. Und 20 Prozent wüssten nicht einmal das Symptom eines anhaltenden Hustens. Früherkennung aber kann Leben retten: "Bei mir wurde 2002 Brustkrebs im Frühstadium diagnostiziert", sagt Ihlen heute. "Deshalb bin ich noch hier."

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