Sünde oder Weisheit: Streit um Mariatrost 1968

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Aussagen Kardinal Schönborns führen zu Diskussionen über die Mariatroster Erklärung. Lebensschützer veranstalten einen Kongress am Ort des Geschehens von 1968.

Was in der FURCHE vom 14. November zu lesen war, beschäftigte auch andere Medien: Die Predigt des Wiener Kardinals Christoph Schönborn, die dieser bereits Ende März vor Bischöfen des Neokatechumenalen Wegs in Jerusalem gehalten hatte, machte vor allem ob der Schelte an die Adresse seiner Bischofsvorgänger Furore. Schönborn hatte die Erklärungen diverser Bischofskonferenzen nach der Veröffentlichung der Enzyklika "Humanae Vitae" 1968 kritisiert und von einer "Sünde des europäischen Episkopats" gesprochen. Explizit nahm der Kardinal auf die "Mariatroster Erklärung" der österreichischen und die "Königsteiner Erklärung" der deutschen Bischöfe Bezug, wo die Hirten anno 1968 das Gewissen des Einzelnen auch in der Frage der Empfängnisverhütung, welche "Humanae vitae" für Katholiken verboten hatte, als letzten Maßstab bekräftigten.

"Dringender Aufruf zum Nachdenken"

"Ist die Kirche noch bei Mariatrost" titelte Heiner Boberski am 19. November in der Wiener Zeitung. Auch die Presse nahm sich der Causa an und ließ unter anderem am 22. November den St. Pöltner Bischof Klaus Küng als Interpreten der Aussagen Schönborns zu Wort kommen: Dessen "mutige" Predigt sei "nicht sosehr eine Schuldzuweisung, sondern ein dringender Aufruf zum Nachdenken" gewesen. Auffallend, dass in den Online-Kommentaren zum Beitrag in der Wiener Zeitung praktisch ausschließlich Dankbarkeitsadressen an Schönborn zu lesen waren, wohingegen die Internet-Community der Presse sich auch sehr kritisch mit den Kardinalsaussagen auseinandersetzte.

In der öffentlichen Diskussion wurde die Jerusalemer Schönborn-Predigt auch als Desavouierung von Kardinal König verstanden, der 1968 ja der Bischofskonferenz vorgestanden war. Bereits in der FURCHE vom 7. November hatte Bischof Helmut Krätzl die Mariatroster Erklärung verteidigt, am 26. November tat er das Gleiche in der Presse.

Inzwischen wurde die Diskussion auch in Deutschland registriert: "Konservativer Kardinal fordert mehr Strenge von deutschen Bischöfen" titelte Die Welt am 20. November und ernannte Schönborn taxfrei zum "Alter Ego von Papst Benedikt XVI.".

Interessant bleibt dennoch, warum die Kardinalsschelte so lang unbemerkt blieb: Auf der Homepage der Erzdiözese tauchte der volle Text der Predigt erst vor wenigen Wochen auf. Schon am 13. Juni hingegen war sie in Polen vollinhaltlich im katholischen Go´s´c Niedzielny, einem der meistgelesenen Wochenblätter des Landes, zu finden. Und auch in der Oktober-Ausgabe der in Augsburg erscheinenden Monatsschrift Kirche heute, die vom Salzburger Weihbischof Andreas Laun herausgegeben wird, war die Predigt abgedruckt.

Einschlägiger Kongress in Mariatrost

Laun wird am 7. Dezember auch einen Festgottesdienst bei einer Veranstaltung zelebrieren, die in ähnliche Stoßrichtung zielt wie die diskutierten Aussagen des Wiener Kardinals: Vom 6. bis 8. Dezember findet im diözesanen Bildungshaus Graz-Mariatrost der Kongress "40 Jahre Humanae Vitae - 40 Jahre Mariatroster Erklärung" statt. Veranstalter ist die "Europäische Ärzteaktion e.V.", die schon im August eine analoge Zusammenkunft im deutschen Königstein abgehalten hatte. Dort war die Rücknahme der "Königsteiner Erklärung" gefordert worden. Ein Blick auf die Referentenliste des Mariatroster Events - darunter der diesbezüglich bekannte Christoph Casetti, Domherr im schweizerischen Chur - lassen Forderungen nach der Rücknahme auch der "Mariatroster Erklärung" bei diesem Kongress erwarten.

Ein Anruf beim "Kongressbüro" in Wien führt zum Lebensschutz-Aktivisten Dietmar Fischer, der die Dependance der aus den USA kommenden Bewegung "Human Life International" leitet, die auch hierzulande durch ihre spektakulären - und umstrittenen - Aktionen vor Abtreibungskliniken bekannt ist. Fischer nennt auch einen weiteren prominenten Kongress-Teilnehmer: Der Nuntius sei als Zelebrant wie als Festvortragender am 8. Dezember eingeladen.

Auf Anfrage der FURCHE bestätigt die Nuntiatur, dass diese Einladung der Veranstalter vorliegt. Nuntius Edmond Farhat habe aber noch nicht entschieden, ob er zum Kongress nach Mariatrost kommen werde.

Siehe auch Meinung auf Seite 20.

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