Süßes als eine Probefahrt in das Paradies

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Michael Bünker, Bischof der evangelischen Kirche A.B., hat sich den Süßigkeiten verschrieben und ihnen ein Buch gewidmet, das am 1. Juli erscheint: Bischofsbrot und Mozartkugel. Den Beschreibungen und der Geschichte der Schokoladen und Kuchen fügt er Zitate aus der Bibel an: So entsteht ein Weg von irdischen Süßigkeiten zu himmlischen Wahrheiten.

Ein charmantes Buch verdient, seinem Gegenstand und damit dem Wienerischen entsprechend, eine charmante Einleitung: „Die Idee, typisch österreichische Süßigkeiten mit geistlichen Betrachtungen zu verbinden, mag wie eine gesuchte äußerliche Verbindung erscheinen“, schreibt Michael Bünker zur Einleitung des Bandes „Bischofsbrot & Mozartkugel“. Aber er nennt den guten Grund, den er dafür hat: „Das Thema der Süßigkeiten, des Süßen, berührt den Kern des christlichen Glaubens. Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Gottes, ist geprägt von Süßem, vom Christbaumbehang bis zu den typisch adventlichenBäckereien. Süßer die Glocken nie klingen!“

Wie einige Passagen aus dem Buch zeigen, ist es eine Kulturgeschichte des Süßen, begleitet von Spirituellem, die Bünker anhand von 20 Süßigkeiten erzählt:

Süße Zuckerl, bittere Geschichte

„Es wird kaum jemanden in Österreich geben, der oder die nicht wüsste, was Heller Zuckerl sind. Unverwechselbar nach Verpackung, Form und den vielfältigen Geschmacksrichtungen, haben sie sich tief und fest ins kollektive Gedächtnis Österreichs eingeprägt. Die Familie Heller stammte aus dem der alten Donaumonarchie benachbarten Polen, aus der Warschauer Gegend. Die Familie kam im 19. Jahrhundert nach Wien, so wie rund 150.000 andere Jüdinnen und Juden aus Galizien, Polen, der Bukowina, der Ukraine und allen anderen Ländern Osteuropas auch. Die Stadt befand sich in rasantem Wandel, die wirtschaftliche Entwicklung, die Zuwanderung, die Bautätigkeit und die Kultur machten aus Wien eine europäische Metropole ersten Ranges. Ersten Ranges war allerdings auch der Antisemitismus der Stadt, gefördert und aktiv betrieben von höchster Stelle. ... Mit dieser Situation musste die zugewanderte Zuckerbäckerfamilie Heller zurecht kommen. Es kam ihr zugute, dass sie mit der Erfindung von Dragees, eben den Heller Zuckerln, ihr Vermögen machen konnte. Das Firmenimperium umfasste Tausende Mitarbeitende und hatte Filialen selbst in Lissabon und New York. ... 1938 gingen der Firmengründer und seine Frau ins Exil, kamen nach dem Krieg zurück und den beiden Eheleuten wurde ein Kind geboren, der Sohn Franz Andreas, der sich dann später André nannte, Poet in seinen Paß eintragen liess...“ EinTischgebet von Philipp Melanchthon ergänzt die Geschichte der Familie.

Jede und jeder eine Schöpfung

Gekonnt zieht Bünker eine Parallele zur Schöpfung, wenn er sich anhand der Mozartkugel mit dem Echten und mit dem Originalen befasst: „Mozartkugeln gibt es wohl auf der ganzen Welt. Kann man sich einen Duty-free-Shop auf irgendeinem Flughafen vorstellen, auf dem es diese dreifältige runde Köstlichkeit aus Marzipan, Nougat und Schokolade nicht gibt? ... Mozartkugeln ... sind global und universal. Und doch hat sich ein jahrelanger Streit um die Bezeichnung entsponnen. Welche ist die echte? Welche darf sich nach Salzburg nennen? Welche verdient die Bezeichnung „original“? Aber „original“ ist nur die Mozartkugel nach Konditormeister Paul Fürst, der sie 1860 errunden hat. Sie gibt es nur in Salzburg. Offensichtlich gehört zur Originalität auch eine gewisse räumliche Begrenzung. Original ist ein Produkt, dem die Herkunft anzumerken ist. Originalität, Ursprünglichkeit widersetzt sich dem Trend, alles und jedes zu globalisieren, sie ist und bleibt herkömmlich im positiven Sinn des Wortes. So auch der Mensch: Er verträgt nicht allzu viel an Globalisierung (Rüdiger Safranski), er ist tief misstrauisch gegenüber der schrankenlosen Reproduzierbarkeit und Kopierbarkeit des Lebens, er lebt im Bewusstsein der Herkömmlichkeit aus der Schöpfung Gottes.“

Ein Kapitel widmet Bünker der Manner Schnitte, einer „Wiener Institution“. Zur Schnitte und ihrer Geschichte schreibt er: „Es sind fünf Lagen Waffeln und vier Lagen mit Haselnusscreme,die Maße seit mehr als hundert Jahren unverändert: 47 mal 17 mal 17 Millimeter. Erfunden wurde die Süßigkeit von Herrn Josef Manner, einem gelernten Kaufmann, der auf Schokoladehandel umgestiegen war. 1898 war es so weit: Die Manner Schnitte entstand. Die Waffeln wurden gebacken, die Haselnusscreme bereitet. Die Haselnüsse stammten aus der Gegend von Neapel, daher auch der ursprüngliche Name Neapolitaner für die Schnitten. Folgerichtig müssten sie heute eigentlich „Türkische“ heißen, denn die Haselnüsse kommen heute aus der Türkei. Josef Manner hatte ein Geschäftslokal in der Stadt, also im ersten Bezirk, am Stephansplatz Nummer 6. Vom Portal des Ladens sah er auf den Stephansdom. So mag er auf die Idee gekommen sein, ein Bild des Doms auf die Packung seiner Schnitten zu geben. Gesagt, getan. Seither – bis heute! – trägt die Firma Manner die Kosten für einen Steinmetz der Dombauhütte für das Recht – als einzige Firma! –, das Bild des Doms als geschütztes Markenzeichen zu verwenden.“

Pischinger und das Abendmahl

„Was hat die Pischinger mit dem christlichen Glauben zu tun? Die Antwort verweist auf die Liturgie. Die Pischinger kommt beim Heurigen meist erst dann auf den Tisch, wenn die deftige Jause abgeräumt ist. Dann wird die Torte geteilt. Dies geschieht durch Brechen, nicht durch Schneiden. Jeder und jede bekommt ein Stück. Gemeinsam mit dem Wein ist die Torte eine säkulare Resonanz auf die Feier der Kommunion. In welchem Verständnis? Ich behaupte, die Pischinger beim Heurigen ist ein Echo des evangelischen Abendmahls. Zwei Beobachtungen, die dies unterstützen. Alle bekommen Wein, zumeist zuerst den Wein, erst dann das süße Brot. Und es gibt keinen Priester, alle sind füreinander und für sich in dieser Funktion, also priesterlich tätig. Also, traditionell gesagt, Laienkelch und allgemeines Priestertum, zwei untrügliche Kennzeichen evangelischer Abendmahlsfrömmigkeit. In seltsam verwandelter Form aufgehoben beim Wiener Heurigen.“

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