"Sunden Sie geschlaf"

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Mozarts Balanceakte auf dem Drahtseil der Sprache.

Mozarts sprachliche Zeugnisse im Gewand von Briefen, Gedichten und anderen literarischen Parerga zu ignorieren, käme einer Verstümmelung seiner Persönlichkeit gleich, wäre mehr als bloß eine heuristische Unterlassungssünde, als der mutwillige Verzicht auf eine marginale Erkenntnisquelle. Indem sich Mozart äußert, entäußert er sich zugleich, das Individuum gibt sich preis, setzt sich frei, spannt und entspannt sich.

Psychohygiene ...

In Mozarts Sprache haben manche Kenner ein Komponieren mit anderen Mitteln gesehen. Das meint wenigstens zweierlei: Mozarts Briefe, um nur diese eine Spezies seines Schreibens herauszugreifen, sind weit mehr als funktionale, trockene Mitteilungen. Ja ein pedantischer, nüchterner Adressat wie Mozarts Vater leidet chronisch unter den versäumten Botschaften seines Sohnes. Die Nachrichten im Bereich des Lebensernstes, auf die er so dringlich wartet, verschwinden in einem Dickicht von Verbalakrobatik, von exzessivem Übermut und gesuchtem Nonsens. Aber was wie Laune und reines Getändel wirken könnte, ist in Wahrheit häufig Maskerade, sprachliche Mimikry, ein Blinde-Kuh-Spiel vor den Anfechtungen eines seriösen Alltags.

... und Wort-Kompositionen

Ein Komponieren in einem anderen Medium ist es aber auch, wenn Mozart die Sprache nicht als konventionelles Ausdrucksmittel benützt, als gleichsam geprägte Münze ausgibt, sondern sie sich als Knetmasse erst für seine Bedürfnisse zurechtformt. Der prüfende Blick des Sprachforschers ist da schnell mit Kategorien zur Hand.

Der Linguist spricht von Reimwörtern, wenn Mozart im bekannten Bäslebrief vom 5. 11. 1777 konsequent auf einen erwarteten Ausdruck das klangliche Echo folgen lässt ("Ich habe dero mir so werthes schreiben richtig erhalten falten, und daraus ersehen drehen, dass der H. vetter retter, die fr. baaß has, und sie wie, recht wohl auf sind hind usw.").

Als Perseverationen kann man es bezeichnen, wenn in einem Brief an die Baronin von Waldstätten vom 28. 9. 1782 eine schier unendliche Kette französisierender Zeitwörter auf-iren erscheint ("tractiren ... tourniren ... accomodiren ... pardoniren ... permettiren ... complimentiren ... veneriren ... klystiren ... fermiren").

Synonymenreihe ist der passende Terminus für die scherzhafte Überdehnung des Stilprinzips, einen weniger üblichen Begriff durch ein gleichbedeutendes Nachbarwort zu erläutern. Mozart führt dieses rhetorische Instrument ad absurdum, indem er es totreitet und auf banale Alltagswörter anwendet (5.11.1777: "Sie schreiben noch ferners, sie lassen sich heraus, sie geben sich blos, sie lassen sich verlauten, sie machen mir zu wissen, sie erklären sich, sie deuten mir an, sie benachrichtigen mir, sie machen mir kund ..."; 21. 11. 1772: "wird er mir gewiß, zweifelsohne, ohne Zweifel, sicher, richtiglich antworten").

Ein gesuchtes etymologisierendes Wortspiel liegt vor, wenn Mozart sein Bäsle zuerst als "Bäßchen" und in einer musikalischen Assoziation danach als "Violoncellchen" anredet. Namensverdrehungen riskiert er, wenn er aus Süßmayr einen "Sauermayer" macht oder einer Frau Schlosserin den Geburtsnamen "Schlüsselmacherin" unterstellt. Aber all das sind bloße Etiketten, bescheidene Versuche, die überquellende Fülle der Phänomene zu bändigen, in der verwirrenden Vielfalt terminologische Wegweiser zu setzen.

Beispiel: Brief an den Vater

Das unten stehende Beispiel ist ein Postscriptum zu einem Brief, den Mozart von der großen Reise mit seiner Mutter am 26. 11. 1777 aus Mannheim an seinen Vater schreibt. Schon im eigentlichen Text, der auf eine kurze Mitteilung der Mutter folgt, war er dem dringenden Bedürfnis des Vaters nach ernsthaftem Bericht immer wieder durch "Hakenschlagen" ausgewichen. Immerhin war man bereits über zwei Monate unterwegs, hatte München ohne Erfolg im Bemühen um eine Anstellung am Hof verlassen und auch die analogen Anstrengungen beim Kurfürsten Karl Theodor in Mannheim waren noch ergebnislos.

Doch Mozart entzieht sich der Anfechtung am Ende des Schreibens durch den Hinweis auf Platzmangel. Er verspricht, künftig mehr Papier zu beschaffen und ausführlicher zu werden. Er empfiehlt sich mit der gewohnten Courtoisie recht umständlich und widerlegt jegliche "Materialnot" mit einem verspielten Briefzusatz:

Kreatives Alphabet

Literarische Alphabete sind von Wilhelm Busch bis herauf zu H. C. Artmann ein beliebter Tummelplatz der sprachlichen Kreativität. Ein alphabetisches Namensverzeichnis von Salzburg mit dem Auftrag der Grußbestellung - noch dazu im Irrealis ("Wenn ich noch einen Platz findete, so schreibte ich ...") - ist jedenfalls ein Kuriosum. Wir versagen uns alle familiären Quellenstudien - die meisten Namen sind ja aus dem Umfeld Mozarts oder aus der Topografie Salzburgs bekannt -, wenden uns vielmehr den Abweichungen von der Regel zu.

Da finden sich "alle Esln zu Salzburg" ebenso wie später "alle S#ae ü", neben "Firmian" findet sich "der kleine franzl", die "Nachtwächter", "Trompeter" und der "wurstmacher hans" fetten das Register auf, ganz zu schweigen von den "uhren in Salzburg wen man anfangs ein h hinzusetzt". Die Städte "ulm und uttrecht" sprengen ebenso grotesk den selbstgewählten Rahmen wie die Auffüllung der notorisch seltenen Buchstaben ("Quilibet, quodlibet, und allen quackern"; "an xantipe, an xerxes"; "an H: ypsilon, an die H: ybrig'...").

Fingierter Sprachrausch

Vollends überschlägt sich die Phantasie des Briefschreibers aber am Ende des Postscriptums. Denn jetzt erst, da ihm wieder der Platz fehlt, würde er Complimente an seine guten Freunde hinzusetzen, die offenbar in der alphabetischen Liste gar nicht vorgekommen sind. In einem fingierten Sprachrausch purzeln Mozart schließlich Silben, Wortarten und grammatische Kategorien durcheinander.

Zwischen der Feststellung "Ich kan gescheüt nichts heüts schreiben" und ihrer variierten Wiederkehr als "verrückter" Schlusssatz "werdens nächste ich schon schreiber gescheiden", geraten Syntax und Formenlehre gänzlich aus den Fugen (Ernst Jandl lässt grüßen!), was Mozart so zu rechtfertigen sucht: "denn ich heis völlig aus den biel". Die Kommentatoren wollten hier eine Fehlschreibung für "ich gleis völlig aus dem fiel" (also "ich fiel völlig aus den Gleisen") erkennen. Ich halte ein schlichtes "ich bi(n) völlig aus'n Häusl" für wesentlich wahrscheinlicher.

Aber Mozart wäre kein gestaltender Künstler, hätte die Abweichung nicht Methode, würde die Systemverletzung nicht ein neues System stiften. Als durchgehendes Ordnungsprinzip der scheinbar so willkürlichen Umgestaltung der Sprache in den Binnensätzen erweist sich der kategorielle Austausch von Prädikat und Objekt bzw. Adverb. An der syntaktischen Stelle des Verbums erscheint konsequent ein Adjektiv: "wohlen sie leb. ich gute eine wünsche nacht. sunden sie geschlaf."

Variation? Dissonanz? Taktwechsel? Thematische Umkehrung? Kontrapunkt? Auf jeden Fall ein hochkarätiger Musikalismus der Sprache!

Der Autor ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg.

Wenn ich noch einen Platz findete, so schreibte ich 100.000 Complimente von uns 2, sage von uns zwey, an alle gute freünd und freündinen, besonders an die A, adlgasserische, andretterische und Arco (graf) H: B, bullinger, barisanische, und beranitzky, C, Czernin, (graf) Cußetti, und den drey H: Calcanten, D, H: daser, deibl, und dommesseer, E, Madselle Eberlin waberl, H: Estlinger, und alle Esln zu Salzburg, F, Firmian, (graf und gräfin, und dackerln) den kleinen franzl, und an Petrischen freyhof, G, Madelle Mad: et deux Mons. gylofsky, und auch an Conseiller, dann H: gretri, und gablerbrey, H, den haydnischen, hagenauerischen, und der höllbrey Thresel, J, joli (die Sallerl) an H: janitsch den geiger, und an jacob beym hagenauer, K, H: und fr. von kürsinger, graf und gräfin kühnburg, und H: kassel, L, Baron lehrbach, graf und gräfin litzauw, graf und gräf: Lodron, M, H: Meissner, Medlhammer und Moserbrey, N, der Nannerl, den hofnarren Pater florian, und allen Nachtwächtern, O, den graf oxenstirn, den H: oberbreiter, und allen ochsen in Salzburg, P, den Prexischen, graf Pranck, kuchelmeister, und graf Perusa, Q, den H: Quilibet, quodlibet, und allen quackern, R, den Pater florian reichsigl, Robinische, und Maestro Rust, S, den H: Suscipe, H: Seiffert, und alle S#ae ü in Salzburg, T, H: Tanzberger unsern Metzger, der thresel, und an alle trompeter, U, an die stadt ulm, und uttrecht, und an alle uhren in Salzburg wen man anfangs ein h hinzusetzt, W, an die wieserische, wurstmacher hans, und an woferl, X, an die xantipe, an xerxes, und an alle die dessen Name mit einen X anfängt, Y, an H: ypsilon, an die H: ybrig, und an alle die dessen Name mit einem y anfängt, letztens aber Z, an H: zabuesnig, H: zonca, und H: zezi im schloss. addlieu. wenn ich Platz hätte, so schreibete ich schon noch etwas, aufs wenigst doch Complimenten an meine gute freünd, so kan es aber nicht seyn ich wüste nicht wo ich hinschreiben sollte. Ich kann gescheüt nichts heüts schreiben, denn ich heis völlig aus den biel der hapa üble es mir nicht Müssen Paben, ich so halt einmahl heüt bin, ich helf mir nicht können, wohlen sie leb. Ich gute ein wünsche nacht. sunden sie geschlaf. werdens nächste ich schon schreiber gescheiden."

Postskriptum zum Brief an den Vater vom 26. 11. 1777

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