Supermärkte des Heils

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Esoterik boomt, Marcus Hammerschmitts Kritik bleibt leider auf halbem Wege stecken.

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Esoterik boomt, Marcus Hammerschmitts Kritik bleibt leider auf halbem Wege stecken.

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Der Sinn schwindet in Zeiten wie diesen immer mehr. Die Esoterik-Bewegung, die vor 15 Jahren aus den USA kommend im deutschsprachigen Raum rasch Fuß gefaßt hat, ist entgegen einer weit verbreiteten Meinung keineswegs bereits wieder im Verschwinden. Ganz im Gegenteil, die Ideologien der Esoterik-Bewegung haben sich bereits im Alltagsdenken, in den etablierten Wissenschaften, in den Medien und zum Teil auch in den Großkirchen heimisch eingerichtet. Um so notwendiger wäre die Analyse dieses Phänomens und die Kritik an den in der Esoterik-Bewegung verbreiteten menschenverachtenden Ideologien und Praktiken. Bücher, die sich dieser Aufgabe annehmen, sind rar. Leider gelingt es auch dem Autor von "Instant Nirwana" nur bedingt.

Der 32jährige Autor Marcus Hammerschmitt hat offenbar mit diesem kleinen Büchlein seinen eigenen kurzen Ausflug in die Gefilde der Esoterik aufgearbeitet. Viele richtige und selten gelesene Ansatzpunkte werden leider nur oberflächlich angesprochen. Er beginnt mit der Bemerkung, es sei schwer, noch etwas zum Thema zu schreiben, da Theodor Adorno auf einigen Seiten der "Minima moralia" bereits alles gesagt habe, doch schreibe Adorno auf einem Niveau, das "kein Esoteriker je erreichen wird, ohne einen tiefgreifenden Bewußtseinswandel durchgemacht zu haben". Ob es Hammerschmitt gelingt, mit seiner durchwegs empört-heftigen bis deftigen Diktion EsoterikerInnen zu erreichen, sei ebenfalls bezweifelt. Da er auf keinerlei weitere kritische Literatur verweist, entsteht der Eindruck, außer Adorno und ihm gebe es keine Esoterik-Kritik. Diese Aspekte des Buches stehen im Widerspruch zu den Ansprüchen und durchaus vorhandenen brauchbaren Ansätzen seiner Analyse und Kritik.

Der Autor erkennt richtigerweise, daß die Verlockungen der Esoterik eine Folge der Verhältnisse in unserer Gesellschaft sind, sprich: eine Auswirkung der nicht eingelösten Versprechen der Aufklärung. Rationalität schlug in Irrationalität (Zerstörung von Mensch und Natur) um. Er spricht in diesem Zusammenhang von der "Kirche der Vernunft". Genauer müßte allerdings das Geld beziehungsweise die Ware als grundlegende gesellschaftliche Verkehrform als die Religion der Moderne, als ihr Fetisch, bezeichnet werden.

Hammerschmitt sieht in der Esoterik die Antwort auf die Ohnmacht, der kein Individuum angesichts des hiesigen "falschen Lebens" entkommt. Er kritisiert also nicht nur die Esoterik, sondern auch die Verhältnisse, die Nährboden des grassierenden Obskurantismus sind. Darauf kommt er zwischen den zahlreichen "Wahren Geschichten" aus der bunten absurden Welt der Esoterik-Angebote immer wieder zu sprechen.

Sein Schluß aus dieser wichtigen Grunderkenntnis wird jedoch nur kurz angesprochen und ist wenig zielführend. Da bereits die Kritik an den Verhältnissen, die den Nährboden des Esoterik-Booms bilden, zu sehr personalisiert wird, statt auf die systemimmanenten Zwänge zu verweisen, schlagen auch die angebotenen Alternativen in die falsche Kerbe. Dafür wartet der Autor mit einer völlig überraschenden Lösung auf. Wie die meisten, kann sich offenbar auch er nicht vorstellen, daß die Verhältnisse ganz andere werden müssen, wollen sie menschliche sein.

So bleibt er völlig im System verhaftet und versucht, den Teufel mit Belzebub auszutreiben. Er möchte die Auswirkungen, die die wissenschaftlichen "Weißkittel" durch die ihre Zustimmung zu "jedem Terror, jedem Unsinn, jedem Abgrund an Dummheit" angerichtet haben, offenbar mit ,Rationalität light' mildern: "Die Pauschalablehnung von Glauben, Phantasie, Gefühl und Intuition endet zu oft bei der Haltung des verbohrten Vernunftsklerus, der in seinen Hochsicherheitslabors nach allen Regeln der Vernunft den nächsten Alptraum kreieren und ihn in philosophischen Seminaren gelassen und vernünftig rechtfertigen." Weiter verweist er auf Albert Einstein, der vor "religiös gefärbtem humanem Hintergrund" geforscht habe, "der den Vollrationalen, die später die Bombe bauen, immer fehlt". Am Schluß des Buches ist noch kurz von Politik und von Hoffnung die Rede.

Während in der raren Esoterik-kritischen Literatur viel moralisiert anstatt analysiert wird, will Hammerschmitt dies dezidiert vermeiden. Leider gelingt es ihm nicht so recht. All die eingestreuten esoterischen "Wahren Geschichten" - hauptsächlich aus dem Leben des Autors - haben angesichts des bereits 15jährigen Booms des Obskurantismus keinen besonders großen Neuigkeitswert. Sie spiegeln hauptsächlich die Betroffenheit und akute Empörung des Autors wider.

Gänzlich unterbelichtet, um nicht zu sagen gar nicht vorhanden, ist das Thema, das der Untertitel so vielversprechend präsentiert: Der Geschäftsaspekt der Suche nach Sinn. Wäre es nicht notwendig, endlich auszuführen, inwieweit Esoterik - im Gegensatz zu den fest eingewurzelten, über Jahrhunderte mit dem Staat amalgamierten christlichen Religionen - wahre Supermärkte austauschbarer und zum Teil völlig beliebiger Heilsversprechungen sind? Inwieweit Esoterik eine Variante der allgemeinen Individualisierungstendenz in unserer Gesellschaft ist - zeitgemäßes karmisches Motto: "Jeder ist für sein Glück und Unglück selbst verantwortlich"? Und vor allem inwieweit der Konsumaspekt der Esoterik wiederum eine Variante der allgemeinen Entwicklung ist, immer mehr Bereiche des Lebens in die "Geldform zu pressen" - von emotionalen Bedürfnissen bis hin zu den handelbaren Luftschadstoff-Kontingenten?

Der Autor hat sein kritisches und analytisches Potential nicht voll ausgeschöpft und sich zu sehr von seiner Aufgeregtheit leiten lassen. So bleiben seine durchaus brauchbaren Ansätze leider bruchstückhaft.

Instant Nirwana - Das Geschäft mit der Suche nach dem Sinn. Ein Essay von Marcus Hammerschmitt. Aufbau Verlag, Berlin 1999. 107 Seiten, geb., öS 173, e 12,57

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