Symbolfigur der neuen Erzählergeneration

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Ab einem gewissen Grad des Erfolgs werden nicht mehr Bücher rezensiert, sondern der Ruf, den man hat", meinte Daniel Kehlmann vor kurzem in einem Interview, und tatsächlich ist es schwer, an der Trademark "die jungen Stars der deutschen Literatur" vorbeizusehen. Staunend kann man derzeit beobachten, wie da ganz offen und ganz anders als man es von den alten Herren der Gruppe 47 kannte, neue Selbstdarsteller und Königsmacher am Werk sind. Auch Kehlmann betätigt sich gern und freizügig als Referenzfigur, seine Spiegel-Eloge von Die Arbeit der Nacht etwa hat seinem Generationskollegen Thomas Glavinic die Bahn geebnet.

Der 31-jährige Daniel Kehlmann gilt als Symbolfigur der von den Medien ausgerufenen neuen Erzählergeneration; schon sein Debüt Beerholms Vorstellung (1997) wurde mit großem Wohlwollen aufgenommen, es folgten u. a. 1999 der Roman Mahlers Zeit und 2003 die schmale, aber gelungene Kulturbetriebssatire Ich und Kaminski, die seinen Durchbruch besiegelte. 2005 führte Kehlmann dann mit seinem historischen Roman rund um den Mathematiker Gauß und den Weltreisenden Alexander von Humboldt Die Vermessung der Welt monatelang die Spiegel-Bestsellerliste an und hält heute immer noch Platz 2. Auch die Kritik war voll des Lobes, ganz leise nur merkte etwa Hubert Winkels an, dass es doch "nur eine lehrreiche Doppelbiographie" geworden sei, der es an literarischem Mut, Spiellaune, Erfindungsfreude und Gegenwartsbezug fehle.

Aber mehr als eine dreiviertel Million verkaufter Exemplare beweisen es: Die Vermessung der Welt ist beim - vielleicht vom Thema her vor allem deutschen - Lesepublikum so beliebt wie sein Autor als Medienfigur, und das hat gute Gründe. Seine Romane sind einlässig geschrieben und nicht zu umfangreich, sie versprechen eine philosophische Tiefendimension, ohne zu verstören. Das prädestiniert sie für das Lizenzgeschäft - "Exportable, Less Weighty German Novels" (Carter Dougherty). Als Person bringt Kehlmann ein gesundes Selbstbewußtsein mit - für Popliteratur "bin ich viel zu klassisch" ist einfach eine begnadete Selbstaussage - und ein gekonntes Auftreten. Seine Lesungen, so Kehlmann, gleichen mitunter einem "Simon-and-Garfunkel-Reunion-Konzert", auch als Sondergast des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier bei einem zweiwöchigen Südamerika-Turn hat er sicher gute Figur gemacht.

Entsprechend dicht fiel 2006 der Preisregen aus: Nach dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Doderer-Preis erhält Kehlmann nun auch den renommierten Kleist-Preis. Seit seiner Neugründung 1985 wurden damit bislang zwei Österreicher ausgezeichnet: Ernst Jandl 1993 und Gert Jonke 2005; beide Autoren hatten zum Zeitpunkt der Preisvergabe ein umfangreiches Oeuvre vorzuweisen, geprägt von einer genauen und innovativen Arbeit an der Sprache - Variationen auf Kleists Vom langsamen Verfertigen der Gedanken beim Schreiben gewissermaßen. Da scheint doch ein gewisser Abstand zum diesjährigen Preisträger zu bestehen. Nicht nur was den Umfang des vorliegenden Werks betrifft. Aber einem Medienhype kann sich oft auch eine Jury nicht entziehen, schließlich lauert bei Zuwiderhandeln das Verdikt des Unzeitgemäßen - und das ist unter dem neoliberalen Stern nicht nur auf dem Arbeitsmarkt tödlich.

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