Symbolgestalt für die Kunst

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Pablo Picasso wurde als Zerstörer verteufelt, als Erneuerer bejubelt. Nun kommt eine große Ausstellung im Wiener Kunstforum.

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Pablo Picasso wurde als Zerstörer verteufelt, als Erneuerer bejubelt. Nun kommt eine große Ausstellung im Wiener Kunstforum.

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Wie soll man sich einem Genie nähern, das 20.000 Werke in verschiedenen künstlerischen Medien hinterlassen hat? Pablo Picasso, der am 8. April 1973 im 92. Lebensjahr starb, war nicht nur Maler. Als Schöpfer von Skulpturen steht er in der ersten Reihe der Bildhauer des 20. Jahrhunderts; er hat Herausragendes als Plakatkünstler und Theaterfigurinen-Macher geleistet. In Südfrankreich führte er das darniederliegende Keramik-Handwerk zu neuen Höhen. Er war der erste lebende Künstler, der im Louvre ausgestellt wurde. Kann eine Annäherung an eine derartige Leistung über die Werke allein erfolgen? Picasso war anderer Meinung: "Warum, glauben Sie, datiere ich alles, was ich mache? Weil es nicht genügt, die Arbeiten eines Künstlers zu kennen. Man muss auch wissen, wann, warum, wie und unter welchen Bedingungen er sie schuf ... Es ist mir wichtig, der Nachwelt eine möglichst vollständige Dokumentation zu hinterlassen ... Nun wissen Sie, warum ich alles, was ich mache, datiere."

Bei Picasso von seinem Leben abzusehen, wäre auch noch aus einem anderen Grund nicht richtig, denn er war eine öffentliche Figur. Er liebte, hasste, stritt in der Öffentlichkeit. Wie Albert Einstein zum Inbegriff der Wissenschaft im 20. Jahrhundert wurde, so wurde Picasso zur Symbolgestalt für die Kunst. Wie Einstein wurde auch Picasso heftig angefeindet, verpönt, verachtet. Und doch war er die entscheidende Bezugsfigur. Wer für die Avantgarde, für das Überbordwerfen des Alten war, konnte sich auf Picasso berufen. Wer die Kunst der Moderne für verrückt erklärte, den Verlust der Mitte beklagte, die Entmenschlichung der Kunst, für den war ebenso Picasso das wichtigste Beispiel.Vielleicht besteht seine Größe überhaupt in der Fähigkeit, dass er die Menschen so radikal polarisieren konnte.

Jeden Tag ein Bild Gehasst, geliebt, bewundert, verteufelt, als Zerstörer eingestuft, bejubelt als Erneuerer: Dieser Mann arbeitete wie besessen, auch noch im hohen Alter. Seine Todesfurcht war so groß, dass es schien, als setzte er seine Schöpferkraft gegen die eigene Vergänglichkeit ein. Er sagte von sich, er male jeden Tag ein Bild. Sicher musste er manchmal sechs an einem Tag malen, wenn er eine Woche faul gewesen war. Kritiker haben dieses regelmäßige Malen als ein Tagebuch-Führen in Farben bezeichnet. Aber sieht das Tagebuch eines alten Mannes so aus? Zu zahlreich sind die Bilder, auf denen ein alter Mann eine schöne, junge, nackte Frau bewundert, ihre Brüste, ihre Vagina, als dass man nicht von sexueller Obsession sprechen müsste. Seine Vitalität setzte sich über alle Konventionen hinweg.

Picassos Picassos Picasso hatte auch die Kraft, sich selbst zu widerlegen und zu widerrufen. Diese Vitalität wurde durch die vielen Fotografien, die von ihm in Umlauf kamen, zu seinem Markenzeichen: Schwarze Knopfaugen, ein braun gebrannter Körper, auch noch im Alter eine magische Anziehungskraft auf Frauen, leidenschaftliche Affären. Kopflastigkeit, Theorien-Abhängigkeit war seine Sache nicht.

Vom 8. September an zeigt das Bank Austria Kunstforum in Wien eine Ausstellung mit dem Titel "Picasso: Figur und Portrait. Hauptwerke aus der Sammlung Pablo Picasso". Es sind dies über 100 Werke, die der Künstler nie aus der Hand gegeben hat. Picassos Picassos: mit ihnen hat er gelebt. Diese private Kollektion umfasst Werke aus allen Phasen seines 75 Jahre dauernden Schaffens. Der Enkel Picassos, Bernard Picasso, hat sich dazu überreden lassen, diese Bilder seines Großvaters zum erstenmal geschlossen vier Monate herzuleihen.

Begonnen hat der am 25. Oktober 1881 in Malaga (Andalusien) geborenen Pablo Picasso als Wunderkind - eines der wenigen in der Geschichte der Malerei. Sein Vater, Lehrer an einer Kunstschule, erkannte früh das Talent des Kindes: "Mein Vater malte Bilder für Esszimmer; Rebhühner, Tauben oder Kaninchen: Fell und Federn waren darauf zu sehen. Vögel und Blumen waren seine Spezialität. Vor allem Tauben und Flieder. Mein Vater schnitt einer Taube die Füße ab, nagelte sie in der Stellung, die ihm richtig schien, an einem Brett an, und dann zeichnete ich sie ganz genau nach, bis er zufrieden war."

Der 16-jährige heimste bereits Preise und "ehrenvolle Erwähnungen" ein. Er malte - natürlich - im Stil der Zeit, im Stil seines Vaters: Zwei-mal-zwei-Meter-Schinken, unglaublich bravouröse religiöse Bilder mit Titeln wie "Erstkommunion", "Barmherzigkeit". Aus dem hochtalentierten Langweiler entwickelte er sich über 75 Jahre Schritt für Schritt zurück in die Kindheit, womit die Wiedereroberung von Spontaneität und das Abschütteln von Konventionen gemeint ist.

Picasso war ein Stil-Chamäleon. Die blaue und rosa Periode, monochrome Bilder von Außenseitern der Gesellschaft, ließ er bereits 1907 mit dem Gemälde "Les Demoiselles d'Avignon" hinter sich. Dieses Bild brach mit allen Traditionen: Stillleben, Interieur, Akt, Raum, Perspektive - unter 500 Jahre Kunstgeschichte zog er einen Schlussstrich. Aber auch der Kubismus, die Auflösung von Naturformen in geometrische Formen, blieb nur eine Stufe, vielleicht die wichtigste in seinem Schaffen. Nach einer Italienreise im Jahr 1917 malte er monumentale Körper in klassischer Schönheit und wurde prompt als Bürgerlicher verschrien. Jede Inspiration - ob sie von Cezanne kam, von dem naiven Maler Henry Rousseau,von primitiven Skulpturen aus Afrika - verwandelte er in Eigenes, wobei ihn am meisten der anti-realistische, anti-illusionistische Effekt interessierte.

Mit seinem Guernica-Bild, das er unmittelbar nach der Bombardierung der kleinen baskischen Stadt durch die Deutschen im Jahr 1937 schuf, gelang ihm das wichtigste politische Bild des 20. Jahrhunderts. 1944 trat er der Kommunistischen Partei Frankreichs bei und blieb Mitglied bis zu sein Tod. Will man seine Motive für diesen Schritt verstehen, so muss man sich klarmachen: Viele Jahrzehnte lang galt der Kommunismus westlichen Linken als Garant des Friedens, der Kapitalismus hingegen als kriegstreibend. Picasso erlebte aber den Aufstand in der DDR, den Ungarnaufstand, die Besetzung der Tschechoslowakei. Und blieb trotzdem Kommunist. Alterssturheit? Blindheit? Der amerikanische Starfotograf und Freund des Malers David Douglas Duncan, der den Maler als warmherzigen und großzügigen Menschen kennengelernt hatte, fragte ihn einmal: "Meister, Sie sind kein großer Kommunist?" Picasso blickte ihn fest an und meinte: "Nur ganz wenig ... ganz wenig."

Ein Spanier wurde zur Verkörperung der Kunst des 20. Jahrhunderts. Aber kann man ihn überhaupt einen Spanier nennen? Die letzten vierzig Lebensjahre hatte er seine Heimat nicht mehr betreten. Schon ab 1900 war sein Leben wesentlich mit Frankreich verbunden. Seine großen Entwicklungen fanden in Paris statt. Und doch blieb er Spanier, nicht nur auf Grund seiner Vorliebe für spanische Themen wie den Stierkampf. Er strebte nie die Eleganz eines Matisse an, sondern malte geradezu urtümlich zupackend und zeigte bis an sein Lebensende bei aller Lebensfreude den typisch spanischen Zug zur Melancholie. Der Mensch Picasso behielt sein spanisches Temperament, seine spanischen Essgewohnheiten und auch seinen Machismo, den man schwerlich französisch nennen kann: "Ich liebe oder ich hasse. Ich möchte eine Frau lieber sterben sehen, als sie mit einem anderen glücklich zu wissen."

Spanier bleibt Spanier Picasso und die Frauen: Ein Reizthema. Als junger Mann heiratete er die Russin Olga Koklova, nach deren Tod die Französin Jaqueline Roque, die 50 Jahre jünger war als er. Doch durch die vielen Gemälde, auf denen er seine Geliebten dargestellt hat, sind auch deren Namen bekannt, etwa Dora Maar, Marie Therese Walther und Francoise Gilot. Von den zwei letztgenannten hatte er auch Kinder. Während viele Kunsthistoriker jeden neuen Stil mit einer neuen Frau in Verbindung bringen, lehnen andere diese Interpretation als Klischee ab. Fest steht, dass Picasso aus seinem Liebesleben kein Geheimnis gemacht hat. Er hat auch seine Grausamkeit gegen Frauen öffentlich gelebt. Aber er hatte Humor und spottete öffentlich über seine Altersimpotentz. "Vielleicht ist es unbillig, von einem Spanier etwas anderes zu erwarten als das Außerordentliche", sagte sein Landsmann, der Philosoph Ortega y Gasset.

Von 7. September 2000 bis 7. Jänner 2001. Freyung 8, 1010 Wien

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