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Der Fall Strache: Die fatale Verwechslung von Symbol und Wirklichkeit.

Die Szene lässt sich so leicht nicht vergessen: Deutsche Offiziere singen, von Major Strasser dirigiert, Die Wacht am Rhein. Nach und nach stimmen die anwesenden französischen Patrioten und ihre Sympathisanten in die Marseillaise ein, bis die Deutschen zum Verstummen gebracht werden und beschämt resignieren.

Das ist eine symbolische Szene. Solche Symbole haben in der Kunst ihren genuinen Platz. Sie gehören in ein Film-Casablanca, das es in der Wirklichkeit nie gab.

Film und Wirklichkeit

In der Wirklichkeit haben bekanntlich die amerikanischen und sowjetischen und britischen und französischen Truppen den Zweiten Weltkrieg entschieden, nicht Lieder und kein Sängerwettstreit. Wer die Wirklichkeit mit einem Film verwechselt, riskiert folgenreiche Fehlentscheidungen.

Zurzeit bewegt ein Jugendfoto des führenden FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache die österreichischen Gemüter. Auf diesem Foto ist der Parteichef mit einer Geste zu sehen, die sich unschwer als modifizierter Hitler-Gruß interpretieren lässt. Strache hat für seine Ankläger nur Spott und Ironie übrig - zu Recht hat Rainer Nowak in der Presse darauf hingewiesen, dass Straches Argumentation der Argumentation von Neonazis gleicht -, und er darf sich dabei, was die anonymen Zuschriften im Internet massenhaft beweisen, der Sympathie österreichischer Wähler sicher sein. Diese Stimmungslage hat auch der SPÖ-Bundeskanzler erkannt. Er hat, unter Protest selbst aus der eigenen Partei, Straches "Jugendsünde" eher heruntergespielt als politisch ausgewertet. Man fragt sich, woher der Bundespräsident seine Überzeugungen bezieht, wenn er allen Ernstes behauptet, Strache wäre "von den Wählerinnen und Wählern nicht ins Parlament gewählt worden", hätte er sich nicht eindeutig und entschieden vom Nationalsozialismus abgegrenzt.

Straches Gruß ist Symbol …

So bezeichnend die Reaktion Gusenbauers für den Opportunismus der gegenwärtigen SPÖ-Spitze ist: Straches erhobener Arm ist in der Tat nur ein Symbol. Es ist für die reale Politik nicht viel bedeutsamer als die Marseillaise für den Ausgang des Zweiten Weltkriegs. Aber es ist für alle Beteiligten einfacher, sich über solche Symbole zu erregen als über eine Politik, die dieser Strache propagiert und verfolgt. Wollte man nicht nur die Medien füttern, sondern die Wirklichkeit verändern, müsste man diese Politik analysieren und bekämpfen. Man müsste sich fragen, worin sie sich eigentlich von der Politik des früheren FPÖ-und heutigen SPÖ-Partners ÖVP unterscheidet, was sie möglicherweise mit der Politik einer SPÖ gemeinsam hat, die so gut wie alle Wahlversprechen gleich nach der gewonnenen Wahl gebrochen hat. Nicht Straches Jugendfoto ist das Problem, sondern eine reaktionäre, unsoziale Politik, die von Straches Partei aus der Opposition heraus empfohlen und die von der regierenden Koalition praktiziert wird.

Die Verwechslung von Symbol und Wirklichkeit, nein: die bewusste Verschiebung einer Kritik der Gesellschaft auf eine Kritik der Symbole hat freilich eine längere Geschichte. Die Bestrebungen um 1968, die Welt real zu verändern, wurden unterminiert durch eine Fokussierung auf Symbole. Die Gesellschaftskritik ist, unter dem Beifall der Herrschenden, der Sprachkritik gewichen. Aber auch Sprache ist nur ein Zeichensystem, nicht die Wirklichkeit des Bezeichneten.

Wenn sich ein Strache etwa augenzwinkernd vom Nationalsozialismus abgrenzt, so ist das ein sprachlicher Vorgang ohne Bedeutung. Was er und seine Gesinnungsgenossen wirklich vorhaben, verraten sie durch Taten, nicht durch Beteuerungen, und ihre Anhänger haben das begriffen. Sie lachen sich ins Fäustchen, wenn ihr Parteiführer die Öffentlichkeit, den Bundespräsidenten eingeschlossen, an der Nase herumführt.

… seine Politik Wirklichkeit

Eine funktionierende Demokratie müsste es sogar ertragen können, wenn ein paar Spinner die Existenz von Gaskammern oder Krematorien in Auschwitz leugnen. Die Physik fühlt sich schließlich auch nicht gefährdet durch Spiritisten, die vorgeben, sie könnten einen Tisch durch mentale Anstrengung zum Schweben bringen. Kurioserweise aber erregen die sprachlichen, also symbolischen Handlungen der Neonazis, ihre "Redeakte", die Öffentlichkeit mehr als die täglich von ihnen ausgeübte reale Gewalt gegen Ausländer, Behinderte, Homosexuelle. Noch das Versetzen von Ortstafeln ist eine symbolische Aktion. Sie hat ihre erwünschte Wirkung erfüllt, wenn sie ablenkt von dem skandalösen Zustand, dass über Jahrzehnte hinweg keine der bisherigen Regierungen Österreichs imstande war, die Rechte aller Minderheiten im erforderlichen Maße durchzusetzen. Nur darauf aber kommt es in der Wirklichkeit, jenseits von Casablanca, an.

Ein anderes Beispiel für die Verdrängung der Politik durch Sprachkritik liefert der bürgerliche Feminismus, für den Clara Zetkin, die sozialistische Frauenrechtlerin und Initiatorin des ersten Internationalen Frauentags, oder Aleksandra Kollontaj, die russische Schriftstellerin und Diplomatin, die sich gegen wachsende Widerstände für die (sexuelle) Emanzipation der Frau einsetzte, kurz: die Kämpfe der Frauen innerhalb und mit der Arbeiterbewegung, Terra incognita sind. Die Situation von misshandelten Frauen hat sich um keinen Deut dadurch geändert, dass in Texten ein Binnen-I oder bei Berufsbezeichnungen die weibliche Form hinzugefügt wird. Universitätsprofessorinnen und ihre unkritischen bourgeoisen Nachbeterinnen, die halt auf Grund ihrer Herkunft keine anderen Sorgen kennen, haben die Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, nach menschlicheren Lebensbedingungen für die am meisten ausgebeuteten Frauen verabschiedet zugunsten einer durchaus erfolgreichen Sprachkosmetik.

Die Konservativen wussten sehr genau, warum sie dieser Form der Scheinemanzipation ihre Unterstützung nicht verweigern mussten. Mit jedem Text, der, wie die Ideologinnen der Sprachreform behaupten, die Frauen "sichtbar" macht, wird allenfalls die Marseillaise gesungen. Die realen Arbeitsbedingungen für Frauen in den Fabriken und in den Büros haben sich dadurch kaum verbessert. Alice Schwarzer, die einst als Linke galt, entdeckt im Gegenzug ihre Liebe zum Stil von Angela Merkel. Nach Inhalten wird nicht mehr gefragt, wo Symbole das Maß aller Dinge sind.

Symbole ersetzen Inhalte

Warum aber sind symbolische Aktionen, Aufstände gegen Zeichen statt gegen Zustände so erfolgreich? Warum treffen sie bei - sprechen wird es aus: intellektuell nicht eben übermäßig begünstigten - Nachäffern auf so viel Resonanz? Weil sie billig zu haben sind und die Privilegien derer, die in Wahrheit immer noch von der bestehenden Ordnung profitieren, schützen. Es ist nun einmal leichter, eine Sprachregelung durchzusetzen, als höhere Löhne und Gehälter oder menschlichere Arbeitsbedingungen. Und solange eine Professorin mehr unter der Möglichkeit leidet, dass sie im Fahrstuhl für eine Sekretärin gehalten wird, als unter der ungerecht niedrigen Bezahlung von Sekretärinnen (und Sekretären) oder Putzfrauen (und Putzmännern), wird es mit der Revolutionierung der Grammatik sein Bewenden haben.

Die allgegenwärtige Fixierung auf Symbole, auf Wörter, auf Bilder ist nichts anderes als der Sieg des Idealismus über den Materialismus oder, politisch gesprochen, des Verharrens in den bestehenden Macht-und Herrschaftsstrukturen über die Bestrebungen, diese zu verändern. "Ändere die Welt, sie braucht es", sagte der weise Brecht. Er sagte nicht: "Ändere die Sprache, sie braucht es." Er wusste, warum. Es lag gewiss nicht am mangelnden Respekt vor der Sprache.

Der Autor ist Literaturwissenschaftler an der Uni Stuttgart.

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