Szenen einer Trennung

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Auf der Berlinale 2011 war "Nader und Simin - Eine Trennung“ der große Sieger. Tatsächlich erzählt dieser Film auch viel über die Lebensrealität im Iran heute - eingeklemmt zwischen Tradition und Moderne.

Klischees von islamisch dominierten Gesellschaften gibt es sonder Zahl. Woran manche der verzerrt dargestellten Gesellschaften mitschuld sind: Der Versuch, das soziale Gefüge hermetisch abzuschotten, zeichnet vor allem die diktatorischen Regimes in der islamischen Welt aus. Der in Europa oft unter dem Label "Gottesstaat“ betrachtete Iran hat aber viel mehr als ein religiöses Gesicht, das von strengen Ayatollahs und staatlicher Repression geprägt ist.

Gott wohnt auch im Iran anders, als die Religionswächter und Staatsorgane gerne vorgeben. Diese Zivilgesellschaft hat auch ihre Probleme - und die sind mitunter gar nicht so weit weg von den Erfahrungen im Westen. Vor allem wenn es um urbanes Lebensgefühl geht und die Beziehung der Geschlechter, dann scheint das Allgemeingültige mindestens so offensichtlich zu sein wie das Spezifische der schiitisch geprägten Gesellschaft.

Goldene und Silberne Bären

Genau davon erzählt Asghar Farhadis grandioses Drama "Nader und Simin - Eine Trennung“. In Berlin heimste der Film heuer den Goldenen Bären ein, und je einen Silbernen Bären für die männliche bzw. die weibliche Schauspielerriege des Films.

Dabei handelt es sich bei "Nader und Simin“ nicht um einen vordergründig regimekritischen Film. Sondern Regisseur Farhadi stellt mit geradezu dokumentarischer Besessenheit die Trennungsgeschichte eines Paares im Teheran von heute sowie den Clash of Civilizations mitten im Iran (und nicht etwa zwischen dem Westen und der islamischen Welt) dar.

Nader und Simin wollen sich scheiden lassen. Sie hat vor, mit ihrer Teenager-Tochter Termeh auszureisen, er sträubt sich, weil er seinen an Alzheimer leidenden Vater nicht zurücklassen will. Der Richter verweigert die Scheidung, und so zieht Simin zu ihrer Mutter. Die Tochter ist fortan zwischen beiden hin- und hergerissen. Nader engagiert die junge Mutter Razieh vom Land als Pflegerin für den dementen Vater.

Doch Razieh ist mit der Pflege ebenso überfordert wie mit dem vergleichsweise liberalen Lebenstil in der Stadt. Für sie ist es sogar eine Sünde, den kranken Alten zu baden, weil das eine gottesfürchtige Frau mit einem Mann außerhalb der Familie nicht tun darf.

Razieh ist schwanger, und weil sie wegen Komplikationen im Unterleib einen Arzt aufsucht, bleibt Naders Vater allein zu Hause. Als Nader das bemerkt, entlässt er Razieh; die stürzt auf der Treppe - und verliert ihr Kind.

Fehlgeburt als Mordfall

Raziehs Ehemann Hodjat beschuldigt nun Nader, an der Fehlgeburt schuld zu sein - und alsbald sind alle Beteiligten in ein Gerichtsverfahren verwickelt, in dem es um Mord geht, der mit der Bezahlung eines Blutgelds aus der Welt geschafft werden könnte. Da Nader dann aber die Schuld an der Fehlgeburt (der Vorwurf: Er habe Razieh die Stiege hinunterergeschubst) eingestehen würde, weigert er sich.

Simin bringt ihn schließlich dazu, der finanziellen Lösung zuzustimmen. Als aber Razieh bei der Scheckübergabe auf den Koran schwören soll, nimmt die Geschichte ihre Wendung …

Ein komplexes Geflecht an Beziehungen stellt Regisseur Farhadi in ebensolcher Klarheit wie Verworrenheit dar: Nader mit Simin, die in Trennung leben. Die Beziehung jeder der beiden zu Tochter Termeh. Razieh und Nader. Razieh zu ihrem Mann Hodjat, dem sie die die Tätigkeit bei Nader verschweigt. Die Auseinandersetzung zwischen dem traditionellen Hodjat, der arbeitslos ist und Schulden hat, und dem urbanen Nader.

In all diese Wirrnisse soll ein Richter Licht bringen und Recht sprechen, ob nun Nader für die Fehlgeburt verantwortlich ist, was nach dem Rechtssystem im Iran eben einem Mord gleichkommt.

Ein gordischer Beziehungsknoten ist entstanden, und es bedarf tatsächlich eines Befreiungsschlags, um diesen zu entwirren. Doch danach gibt es erst recht Opfer - der Umstände auf der zwischen moderner iranischer Gesellschaft und traditioneller Religion ausgespannten Folie.

Ein Film als Kulturen-Brücke

Regisseur Asghar Farhadi ist nicht nur ein filmisches Meisterwerk gelungen, mindestens ebenso hoch einzuschätzen ist die politische Dimension von "Nader und Simin“. Denn die Repression in dieser Gesellschaft und das gleichzeitige Auseinanderklaffen zwischen Moderne und Tradition (Religion) so darzustellen, ist eine exzeptionelle Leistung.

Gute Filme erzählen Geschichten und haben kein vordergründiges didaktisches Anliegen. Aber wenn diese Geschichten eine fremden Welt zum Leuchten bringen und von daher auch einem Zuschauer im fernen Europa etwas von der heutigen Wirklichkeit im Iran vermitteln können, dann kann ein Film zur Brücke zwischen den Kulturen werden. Auch wenn es bei "Nader und Simin“ um eine Trennung geht: Dieser Film stellt nichts weniger als solch eine Brücke dar. Sein Werk überwinde "geografische, kulturelle oder sprachliche Grenzen“, erklärte Regisseur Farhadi in einem Interview. Dieser Einschätzung kann zugestimmt werden.

Nader und Simin - Eine Trennung (Jodaeiye Nader az Simin)

IRAN 2011. Regie: Asghar Farhadi. Mit Leila Hatami, Peyman Moadi. Filmladen. 123 Min.

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