"Täglich ein Multikulti-Ball"

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Tausende Dolmetscher und über eine Million Seiten EU-Rechtstexte zu übersetzen. Dieses Babylon kostet viel Geld, aber einer demokratischen Union muss es das wert sein.

Sprache ist Politik - das zeigt der Ortstafelstreit in Kärnten, das zeigt der ebenfalls in regelmäßigen Abständen aufflammende Sprachenstreit in den eu-Institutionen: "Erst in Brüssel ist die Sprache für mich politisch geworden", sagt eine deutsche eu-Beamtin. Früher habe sie nach Lust und Laune in mehreren Sprachen geredet, aber damit sei Schluss: "Offiziell rede ich hier nur mehr Deutsch, ich bin in der eu-Behörde die Vertreterin einer Sprachgruppe, und die braucht in jeder Hinsicht meine Stimme."

Ein anderes Beispiel dafür, wie penibel in der eu die jeweiligen Sprachclaims abgesteckt werden, war der vergangene Woche gestartete "letzte Anlauf" der eu-Kommission zur Einführung des europäischen Gemeinschaftspatents: Spanien beharrt auf der Forderung, dass alle eu-Sprachen rechtsverbindlich sind, was von den anderen aus Kostengründen abgelehnt wird. Ein Argument, mit dem man auch die spanische Forderung, alle eu-Gesetze in die spanischen Regionalsprachen Baskisch, Katalanisch und Galizisch zu übersetzen, blockiert. Steter Tropfen höhlt den Stein, denken sich die Spanier - und die nach heftigen irischen Interventionen im letzten Sommer durchgesetze Aufnahme des Gälischen in den europäischen Amtssprachenkatalog sehen die Iberer als Bestätigung, ihren Sprachkampf nur ja nicht aufzugeben. Ab 2007 heißt es in der eu also auch: "A bheil Ghàidhlig agaibh?" ("Sprechen Sie gälisch?"). Und die Zahl der eu-Amtssprachen steigt damit auf 21.

Sprachenknäuel entwirren

Rund 2000 Übersetzer und 500 angestellte Dolmetscher arbeiten allein für eu-Kommission und eu-Ministerrat, dazu kommen mehrere tausend freie Übersetzer und Dolmetscher. Der Unterschied zwischen Übersetzern und Dolmetschern ist schnell erklärt: Die einen arbeiten schriftlich (2005 wurden 1.324.231 Seiten übersetzt), die anderen mündlich (50 bis 60 Sitzungen finden täglich allein in der Kommission statt). Unterstützt werden die menschlichen Übersetzer von computergestützten Übersetzungsmaschinen. Die Entwirrung des Sprachenknäuels kostet die eu jährlich eine knappe Milliarde Euro oder 17 Prozent des Verwaltungsbudgets oder gute zwei Euro pro eu-Bürger und-Bürgerin. Inzwischen bereiten sich die eu-Behörden bereits auf Bulgarisch, Rumänisch und Kroatisch vor. Auch für Türkisch - angesichts einer möglichen Wiedervereinigung Zyperns - sei man gewappnet, bekommt man auf Nachfrage aus der eu-Kommission zu hören. Nur beim Maltesischen gebe es nach wie vor Engpässe.

Und wozu der Aufwand: "Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen", heißt es in der eu-Grundrechte-Charta. Außerdem betont das eu-Parlament, dass die Sprachenvielfalt "einen Beitrag zur Ausmerzung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz leisten kann". Das wichtigste Argument für die Aufrechterhaltung und Förderung der Sprachenvielfalt in der eu ist aber, dass jedem Bürger und jeder Bürgerin Chancengleichheit im Zugang zu den Institutionen und das aktive und passive Wahlrecht ermöglicht werden muss - und das geht nur über Kommunikation in der jeweiligen Muttersprache, denn es ist unmöglich, politische Rechte an Fremdsprachenkenntnisse zu binden.

"Wir haben hier jeden Tag Multikulti-Ball", sagt der steirische Europaabgeordnete Reinhard Rack: "Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie wir, obgleich doch alle Europäer, in Sprache und Denken unterschiedlich gestrickt sind." Im Plenum des Europaparlaments werde in der jeweiligen Muttersprache geredet, sagt Rack, in den Fachausschüssen setze sich aber Englisch als Arbeitssprache durch - und erst diese Zweitsprachler verhelfen dem Englischen dazu, die am meisten verwendete Sprache (siehe Grafik) in der eu zu sein.

Hin zur Alltagssprache

Aber mit dem Vormarsch des Englischen als europäische lingua franca wächst in der Vielvölker-Union auch der Protest gegen die sprachliche Mono-Kultur. Und in der aktuellen eu-Krise formiert sich auch noch eine andere sprachliche Gegenbewegung: "Weg vom Eurospeak hin zur Alltagssprache!" heißt die neue, von ganz oben ausgegebene Kommunikationsstrategie. Denn auch wenn Englisch als gesprochene Sprache im Vormarsch ist - die meisten verstehen beim eu-Kauderwelsch nach wie vor nur Spanisch.

Nächste Woche letzter Teil:

"Sound of Europe"-Konferenz in Salzburg

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