Taufe von Kleinkindern und Religionsfreiheit

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Nicht Körperverletzung ist eigentlich das Thema der Beschneidungsdebatte, sondern die Frage der Religionsfreiheit des Kindes. Diese stellt sich gleichfalls bei der Säuglingstaufe.

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Nicht Körperverletzung ist eigentlich das Thema der Beschneidungsdebatte, sondern die Frage der Religionsfreiheit des Kindes. Diese stellt sich gleichfalls bei der Säuglingstaufe.

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Eltern können ihr Kind nicht fragen, ob es sie als Mutter und Vater akzeptiert, ebenso wenig, in welchem Land, in welcher Kultur und in welcher Weltanschauung es aufwachsen will. Aber vor allem können sie es nicht fragen, ob es überhaupt zur Welt kommen will angesichts all dessen, was auf es zukommen wird (einschließlich des sicheren Todes). Sie müssen es ihrem Kind gegenüber verantworten können, ihm das Leben weitergegeben zu haben, das nicht sie geschaffen haben. Damit ist notwendig die Frage verbunden, ob dieses Leben nur das Produkt eines sinnlosen Zufalls oder grundsätzlich, also von seinem letzten Grund her, den wir Gott nennen, gut und sinnvoll ist. Ob wir auf diesen Ursprung unseres Daseins vertrauen können, hängt - ähnlich wie beim Vertrauen zu Mitmenschen - von unseren Erfahrungen ab und davon, wie wir diese deuten.

Die Eltern kommen also um die religiöse Frage nicht herum, auch wenn sie diese atheistisch oder im Sinn des Agnostizismus zu beantworten suchen. Ihr Kind wird sie ihnen jedenfalls stellen, ausdrücklich als Frage nach dem "Warum“, aber auch indirekt durch seine Ängste und seine Suche nach Sinn. Durch ihr Beispiel und ihre Antworten beeinflussen sie ihr Kind, ob sie wollen oder nicht. Sie haben daher das Recht und die Pflicht, ihr Kind auch in religiöser Hinsicht nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen, ihm die Antwort vorzuleben und zu geben, die sie für die beste halten. Der Versuch einer "religionslosen“ Erziehung ist selbst eine Einflussnahme.

Eine ganz andere Frage ist, ob die Eltern die religiöse Haltung ihres Kindes vorwegnehmen dürfen, indem sie es in ihre Religionsgemeinschaft aufnehmen lassen, im Judentum und im Islam sogar mit einem unaufhebbaren körperlichen Merkmal. Die eigentliche Problematik der durch das Kölner Urteil infrage gestellten Beschneidung aus religiösen Gründen liegt nicht in der relativ geringfügigen Körperverletzung, sondern darin, ob sich eine solche auch leiblich fixierte Vorwegnahme der eigenen Entscheidung mit der Religionsfreiheit des Kindes vereinbaren lässt. Primär geht es dabei nicht um die Religionsfreiheit von Religionsgemeinschaften, sondern um die der Kinder; auch um die Freiheit, aus einer vorgegebenen Religion auszutreten.

Die Säuglingstaufe als Problem

Diese eigentliche Frage betrifft auch die Taufe von Säuglingen und Kleinkindern in den christlichen Kirchen: Ist - bei aller Berechtigung einer christlichen Erziehung durch christliche Eltern - eine Vorwegnahme der eigenen Entscheidung des Kindes legitim? Widerspricht sie nicht dem Recht auf Religionsfreiheit? Bewirkt sie nicht vielleicht sogar das Gegenteil von dem, was beabsichtigt ist; indem das Kind diese Vorgabe nachträglich nicht wirklich bejaht, sondern nur hinnimmt? Eine so vorgegebene Entscheidung behindert doch eher die notwendige Auseinandersetzung und persönliche Annahme. Darf die katholische Kirche auch alle als Kleinkinder Getauften zu Gläubigen erklären, wie es im Kirchenrecht steht (Kanon 204/1), und ihnen daraufhin vorschreiben, was sie als solche zu glauben haben?

Diese zur Gewohnheit gewordene Praxis hat mehrere Ursachen: Schon in der Bibel ist die Rede von der Taufe einer ganzen "Hausgemeinschaft“ (Apg 16,15; 1 Kor 1,16). Die frühe Kirche übernahm die damals in der Gesellschaft übliche Vorstellung der totalen Unterordnung der Kinder unter die Autorität des patriarchalischen Familienoberhaupts (trotz gegenteiliger biblischer Hinweise: Mt 18,1-5; Mk 10,13-16). Ferner hörte der in der frühen Kirche übliche Erwachsenenkatechumenat auf, als nach dem Ende der Christenverfolgungen die Massen zur Kirche strömten und diese immer mehr zur Staatskirche wurde (es gab auch nicht mehr die dafür nötigen Gemeinden). Damit geriet die Notwendigkeit einer persönlichen und ausdrücklichen Glaubensentscheidung der Christen in Vergessenheit. Ausschlaggebend und bis heute nachwirkend wurde aber die augustinische Erlösungslehre, nach der alle Menschen aufgrund der Erbsünde eine "verdammte Masse“ sind und nur jene gerettet werden, die sich taufen lassen. Damit wurde die Taufe der Kinder möglichst bald nach der Geburt - notfalls noch im Mutterschoß - zum Normalfall.

Korrekturen im Geist des Neuen Bundes

Gerade diese Vorstellung, dass nur Getaufte zum Heil gelangen, wurde im II. Vatikanum korrigiert; hier geschah ein Bruch in Lehre und Praxis der Kirche. Die Taufe von Säuglingen ist also nicht nötig, um sie vor der Hölle zu bewahren, und entspricht auch nicht dem von der Kirche im selben Konzil - ebenfalls in einer Korrektur der vorherigen Lehre - anerkannten Recht auf Religionsfreiheit aller Menschen und damit auch der Kinder. Außerdem führte diese Praxis zu einer Spaltung der Kirche in "einfache Gläubige“ und die durch Priesterweihe oder Ordensgelübde zu eigentlichen "Jünger(inne)n Jesu“ gewordenen Christen. Vor allem aber widerspricht sie dem Grundprinzip des Neuen Bundes, der mit dem Wirken Jesu begonnen hat:

Schon beim Propheten Jeremia ist die Rede davon, dass in diesem Neuen Bund Gott seine Weisung in die Herzen der Menschen schreibt, sie ihnen also nicht einfach von außen vorgegeben ist (auch wenn Anstöße durch andere, durch Schriften oder Lehren, zur Weckung dieser Gewissenserkenntnis wichtig sind): "Keiner wird mehr seinen Nächsten oder seinen Bruder belehren und sagen: Erkennt den Herrn! Denn sie alle, klein und groß, werden mich erkennen, spricht der Herr“ (Jer 31,34; vgl. 2 Kor 3,3-6). Der jüdische Philosoph Martin Buber schreibt über den Unterschied zwischen Judentum und Christentum: "Die zwei Glaubensweisen stehen einander also auch hier gegenüber. In der einen ‚findet sich‘ der Mensch im Glaubensverhältnis, in der andern ‚bekehrt er sich‘ zu ihm. Der Mensch, der sich darin findet, ist primär Glied einer Gemeinschaft, deren Bund mit dem Unbedingten ihn mit umgreift und determiniert; der Mensch, der sich zu ihm bekehrt, ist primär ein Einzelner, zu einem Einzelnen Gewordener, und die Gemeinschaft entsteht als Verband der bekehrten Einzelnen“ (Werke 1, 654). Im Unterschied zum Judentum (und zum Islam) darf es im Christentum des Neuen Bundes keine Determination des Einzelnen durch die Glaubensgemeinschaft geben.

Folgerungen für die Praxis

Die Konsequenzen für eine neue Praxis können hier nur skizziert werden: An die Stelle der Taufe von Säuglingen und Kleinkindern sollte eine Segnung dieser Kinder in der Gemeinde treten, der die Eltern angehören, wodurch die Kinder von Anfang an in die Mitverantwortung dieser Gemeinde - auch durch begleitende Paten - aufgenommen werden; in ihr sollen sie die gegenseitige Liebe als Kennzeichen der Christen erfahren (vgl. Joh 13,34f). Falls man aus Gründen der Tradition oder weil das Leben des Kindes akut bedroht ist, doch ein Kleinkind tauft, sollte das "bedingt“ geschehen: "Wenn du es annehmen wirst ...“ Eine erste solche eigene Annahme könnte in einer Tauferneuerungsfeier vor der Erstkommunion erfolgen.

Der bessere Zeitpunkt für die Taufe von Kindern wäre aber das Erstkommunionalter: im Ernstnehmen ihrer altersgemäßen Freiheit, auf ihren eigenen Wunsch. Doch müssten auch diese Kinder darauf hingewiesen werden, dass sie als Erwachsene nach entsprechender Vorbereitung diese Entscheidung ratifizieren müssen (am besten vor der gemeinsamen Erneuerung des Taufversprechens in der Osternacht); andernfalls käme es, falls sie nicht austreten, zu einer "ruhenden Mitgliedschaft“ (ohne Rechte und Pflichten). Der Sinn des Firmsakraments ist nicht diese Erwachsenentauferneuerung (es wäre sonst bei erst im Erwachsenenalter Getauften überflüssig), sondern die Sendung zum Wirken als mündige Christen in Kirche und Welt.

In der Erklärung über die Religionsfreiheit des letzten Konzils heißt es (Art. 1): "… und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt.“ Die katholische Kirche ist noch weit davon entfernt, die Konsequenzen aus dieser Einsicht für sich selbst zu ziehen und damit eine Kirche des Neuen Bundes im Geist Jesu zu werden. Eine Neuordnung der Taufpraxis könnte dafür ein Anfang sein.

Der Autor ist Dozent für Pastoraltheologie an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck

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