Teufelskreis Spielsucht

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Ein Umsatz von mehr als vier Milliarden Euro, Steuereinkünfte der Bundesländer von 100 Millionen Euro. Das kleine Glück, das die Menschen im Automatenkasino suchen, wurde von einem neuen Gesetz nur noch verschärft.

Der massige 50-Jährige mit dem schütteren Haarwuchs stiert auf die vier Walzen, die sich blitzschnell in der Mitte des Spielautomaten drehen. Mit glasigem Blick fixiert er die im Kreis laufenden Kirschen, Birnen, Orangen und Pflaumen. Links und rechts von ihm blinkt es gelb, rot und kobaltblau. Melodiefetzen ertönen aus den glitzernden Verführern, die alle auf Geldscheine und Spielcoupons warten. Sie warten nicht umsonst. An diesem Freitag herrscht Hochbetrieb im Admiral Casino im Wiener Prater. Vor den meisten der 478 piepsenden, blinkenden Monstern sitzen, losgelöst von der Restwelt, Spieler. Es sind nicht die Reichen und Schönen, die hier inmitten von falschem Glanz und umgeben von Pharaonen aus vergoldetem Kunststoff, das große Glück zu finden hoffen: ältere Frauen mit müden Gesichtern und verschossenen Kostümen, junge Migranten mit viel Gel in den dunklen Haaren, Pensionisten mit schlecht sitzenden Hosen und altmodischen Hemden.

In wenigen Minuten hat sich das Guthaben des 50-Jährigen von 370 Euro auf 190 Euro reduziert. Er spielt trotzdem unbeeindruckt weiter. Aber nicht nur im größten Spieltempel Wiens wird an diesem Freitag das Glück herausgefordert. Die Glücksmaschinen laufen in vielen Automatenkammern, Spieltops und Wettbüros, die in den letzten 20 Jahren in der Stadt aus dem Boden geschossen sind. In den dahinsiechenden Einkaufsstraßen von Ottakring, Favoriten und Meidling reiht sich ein Spiellokal an das nächste. „Interactive game“, „magic“ oder „joker“ prangt in Leuchtschrift über den Eingangstüren. In der fünf Quadratmeter großen Koje dahinter stehen nur zwei Spielautomaten, zwei Sessel und ein Aschenbecher.

Feldzug des Glücksspiels

Und nicht nur die sozial schwachen Bezirke Wiens halten die Spielautomaten des Kleinen Glücksspiels erobert. Auch die Steiermark haben sie fest im Griff. In Kärnten setzte Karl-Heinz Grasser 1997 als Landeshauptmann-Stellvertreter die Legalisierung des Automatenspiels durch. „In Niederösterreich legt sich das Glücksspiel schleichend wie eine Seuche über die Gemeinden“, klagt Thomas Huber, Landesgeschäftsführer der Grünen. Vor allem Menschen, die ohnehin nicht viel besitzen, seien betroffen: „Die Männer kommen regelrecht im Maurergewand in die Automatensalons.“

Das Kleine Glücksspiel, einst ein Bagatellspiel mit „einarmigen Banditen“, hat sich zu einem gewaltigen Business gemausert. „Die Umsätze beim Automatenglücksspiel lagen 2009 bei 4,5 Milliarden Euro“, sagt Andreas Kreutzer, Geschäftsführer des Marktanalyseunternehmens Kreutzer Fischer & Partner. Das ist gegenüber 2006 ein Zuwachs von 30 Prozent. 2011 werde der Umsatz auf 4,9 Milliarden Euro ansteigen, prognostiziert der Marktbeobachter.

In die Höhe geschossen ist aber auch die Zahl der Opfer dieses Booms. Jedes Jahr verzeichnet die „Spielsuchthilfe“ in Wien mehr Anfragen. 910 Klienten hat man im vergangenen Jahr persönlich betreut, 368 Personen aus ganz Österreich wurden online beraten. 140 Hilfesuchende warten dringend auf ein erstes Beratungsgespräch. In das winzige Wartezimmer in der Siebenbrunnengasse kommen Männer und Frauen, die nach Jahren des exzessiven Glücksspiels weder ein noch aus wissen. Fast alle, die hier Rat suchen, sind hoch verschuldet. Im Schnitt mit 44.800 Euro. Hier hoffen auch Menschen auf Hilfe, die das Familienvermögen verpfänden mussten, weil der Partner die Spielsucht jahrelang verheimlichte und Unsummen in der Spielhalle gelassen hat.

„Vier Fünftel unserer Hilfesuchenden spielen an Automaten“, sagt die Leiterin der Spielsuchthilfe, Izabela Horodecki. Warum ist dieses Spiel so attraktiv? „Das hat etwas mit dem besonderen Charakter direkter Glücksspiele zu tun“, erläutert die Expertin. „Die komplexe Realität wird stark vereinfacht – es gibt nur Gewinnen oder Verlieren. Die Zeit zwischen Einsatz und möglichem Gewinn ist sehr kurz.“

Gefährdete Jugend

Jugendliche reagieren auf den Kick des Automatenspiels besonders stark. Und genau sie sind den lockenden Angeboten der Glücksspielindustrie am massivsten ausgesetzt. „Für junge Menschen mit wenig Geld sind Wettbüros und Spielkabinen attraktive Aufenthaltsorte. Hier duldet man sie, hier werden sie nicht kontrolliert“, erzählt Michael Wind, Jugendbetreuer von „back on stage 16–17“. Er gehört zum Team der „Mobilen Jugendarbeit Wien“ und kümmert sich in Ottakring um Jugendliche, die bei Bildungszugang, Berufsaussichten und Einkommen ganz unten rangieren. Weil die langfristigen Aussichten schlecht sind, ist bei ihnen der Wunsch nach dem schnellen Geld umso größer. „Mit Fußballwetten wollen diese Jugendlichen Geld für das Ausgehen am Wochenende gewinnen“, sagt Wind. In den Wettbüros stehen allerdings immer auch Spielautomaten „Die werden dann auch ausprobiert. Und manche der Jugendlichen bleiben dabei hängen.“

Wegen diesen Gefahren ist für Minderjährige der Aufenthalt in Wettbüros verboten. Eingehalten wird diese Bestimmung aber nicht, wie die Zeitschrift „Konsument“ bei einem Test im Mai dieses Jahres feststellte. „In 80 Prozent der Wettbüros wird der Jugendschutz missachtet. Jugendliche können ungehindert ihre Wetten platzieren. Eine Kontrolle findet nicht statt“, so das Resümee. Oft ist das Glücksspiel dann der Beginn einer Spirale nach unten, die in der Kriminalität endet. Um ihren Spielrausch zu finanzieren, begehen Jugendliche, die vom Automatenspiel nicht mehr loskommen, immer häufiger Straftaten wie etwa Handyraub. Jeder zweite Insasse der Jugendstrafanstalt Gerasdorf wurde wegen Beschaffungskriminalität im Zusammenhang mit Glücksspiel verurteilt.

Wer gewinnt?

Es scheint, als ob es beim Kleinen Glücksspiel nur Verlierer gibt. Einige Gewinner gibt es aber doch – vermeintliche und echte. Die vermeintlichen Gewinner sind die vier Bundesländer, in denen das Automatenspiel legalisiert ist. Auf 100 Millionen Euro werden die jährlichen Einnahmen aus dem Kleinen Glücksspiel in Wien, Niederösterreich, Kärnten und der Steiermark geschätzt. Auf diesen Geldsegen wollen die Landeshauptleute nicht verzichten und ändern dafür auch manchmal ihre Ansichten. Im Jahr 2003 wetterte Niederösterreichs Landeschef Erwin Pröll noch gegen die Glücksmaschinen. Zwei Jahre gestattete er deren Aufstellung – und den ungebrochenen Fluss von 20 Millionen Euro in die Landeskassen. Kosten für Allgemeinheit: Beratung und Therapie Spielsüchtiger, Kosten der Polizeiermittlungen bei Beschaffungskriminalität, Prozess- und Haftkosten. 2007 stellte die Studie „Kleines Glücksspiel, großes Leid“, Erträge und Kosten des Automatenspiels für die Steiermark gegenüber. Franz Prettenthaler, Mitverfasser der Studie, ist vorsichtig mit einem Urteil: „Aufgrund lückenhaften Datenmaterials sind unsere Ergebnisse vorläufig. Auf dieser Basis kann man sagen, dass der volkswirtschaftliche Nutzen die Kosten geringfügig überwiegt.“ Das große Geschäft für die öffentliche Hand ist das Kleine Glücksspiel also nicht. Was die eine Hand kassiert hat, muss die andere wieder ausgeben.

Andere Gewinner des Kleinen Glücksspiels sind die Automatenbetreiber. Die Bruttospielerträge des Automatenspiels betrugen 2009 rund 500 Millionen Euro. Sie haben sich damit seit 2003 mehr als verdreifacht. Die Menschen, die in den Spieltempeln um ihr Geld gebracht werden, erhalten dagegen – Worte: Im Admiral Casino liegt, fein säuberlich neben dem Eingang, ein Stößchen blau-gelb gehaltener Flyer, in denen abstrakt und verschwommen auf die Gefahren des Glücksspiels hingewiesen wird. Ein Kurztest ermuntert zur Selbstüberprüfung und rät Gefährdeten, über ihr Spielverhalten „nachzudenken“.

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