Theater für Integration

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Neue Perspektiven von neuen Produzenten. Anmerkungen zum postmigrantischen Theater anlässlich der Aufführungsreihe "Pimp my Integration“ in der Garage X in Wien.

Eigentlich war Theater schon immer ein Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse. In einem ganz besonderen Zusammenhang aber ist das gegenwärtig nicht der Fall! Denn obwohl zwanzig Prozent der Österreicher und Österreicherinnen einen sogenannten Migrationshintergrund haben, das heißt, dass sie selbst oder ihre Eltern im Ausland geboren wurden, kommen an den etablierten Staatsbühnen von Vorarlberg bis Wien nur sehr wenige Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen aus Zuwandererfamilien. Es ist nichts Neues, dass die bürgerlichste aller Kunstinstitutionen, das Theater, viele Teile der Bevölkerung nicht erreicht. Dass aber so wenige Österreicher mit Migrationshintergrund ins Theater finden, lässt sich nicht ausreichend damit begründen, dass gerade jugendliche Migranten der dritten Generation als im klassischen Sinne bildungsfern zu beschreiben sind. Denn mit Ausnahme vielleicht des Theaters für junges Publikum fehlt es auf den Staats- und Stadttheaterbühnen der Republik bislang auch fast vollständig an Stücken mit migrantischen Sichtweisen, mit Figuren, die Probleme der Einwanderergenerationen zeigen, die unterschiedliche Herkünfte und Religionen etc. erzählen.

Crossover der Erzählweisen

Bei Klein- und Mittelbühnen ist dagegen in letzter Zeit verstärkt wahrzunehmen, dass sich diese Theater aus der Darstellung von Literatur und Kunst befreien und sich vermehrt der Auseinandersetzung der gesellschaftlichen Wirklichkeit stellen und in aktuelle politische Debatten einmischen. Thematisiert werden dabei nicht nur die Folgen der globalen Krisen, des demografischen Wandels, Fragen nach der Lebensrealität in sozial und kulturell divergierenden Stadtgesellschaften oder Fragen nach den Möglichkeiten der gesellschaftlichen Beteiligung des Einzelnen. Es werden auch jeweils ganz spezielle Formen für die Darstellung dieser Problemlagen gefunden, die das Theater in einem interkulturellen und künstlerischen Crossover der Erzählweisen aus Film, Musik und Tanz, von Pop über Comic bis zu Computerkunst einem jüngeren und anders sozialisierten Publikum wieder näher bringt.

Ein besonders ambitioniertes und längst überfälliges Projekt, das aus dem Theater wieder jenen politischen Raum macht, der es von der Idee her einmal war, unternimmt die unweit vom Graben, eine von Wiens Flanier- und Konsummeilen, domilizierte Garage X am Petersplatz. Gemeinsam mit dem ebenfalls in Wien beheimateten Künstlerkollektiv "daskunst“ kuratierte das Theater eine Projektreihe mit postmigrantischem Schwerpunkt. "Pimp my Integration“, so der Titel, umfasst neben Theateraufführungen, Lesungen, Podiumsdiskussionen auch Filmpräsentationen und Ausstellungen und ist noch bis zum 30. November und dann wieder vom 18. Jänner bis zum 10. Februar zu sehen (siehe Kasten).

Postmigrantisch ist dabei die Vokabel, auf die es ankommt. Entlehnt ist der Begriff von der designierten Co-Intendantin der Wiener Festwochen (ab 2014 gemeinsam mit Markus Hinterhäuser) Shermin Langhoff, die ihn zwar nicht erfunden hat, aber ihr Theater, das "Ballhaus Naunynstraße“ in Berlin-Kreuzberg, postmigrantisch nennt. Auch hierzulande bekannt geworden ist das Theater mit dem erfolgreichen Stück "Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, das sowohl für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert als auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Es bringt das Prinzip des postmigrantischen Theaters auf den Punkt, indem es Stereotype dekonstruiert und neue Sichtweisen von neuen Produzenten auf die Aneignung von deutschem Kulturgut (hier Schillers "Räuber“) thematisiert. Das Stück wird am 18. Jänner in der Garage X seine Österreichpremiere haben.

Die Gründung des postmigrantischen Theaters im Herbst 2008 ergab sich aus der Ansicht, dass inter- und transkulturelle Theaterarbeit unzureichend institutionalisiert sei und viele (post)migrantische Kulturschaffende fast ausschließlich in der freien Szene tätig waren, das heißt, auch kaum wahrgenommen wurden.

Mit postmigrantisch meint Langhoff nun "den Raum, in dem wir alle Leben“, den Raum einer multikulturellen Gesellschaft, der bestimmt ist von vielfältigen Biografien, Kulturen, Lebensentwürfen. Und dieser Realität der Vielheit setzt sie ein Theater gegenüber, das diese abbildet, und das nicht einfach einen beträchtlichen Bevölkerungsteil außer Acht lässt. Im Gegensatz zum migrantischen Theater, in dem es vorrangig um Fragen der Migration, des Zurechtfindens in einer neuen Gesellschaft, um Fragen nach der kulturellen Zugehörigkeit geht, bezeichnet das postmigrantische Theater nach Langhoff eine "künstlerische Suchbewegung“ in einem multikulturellen Raum, in dem die Personen sich nicht einer Kultur zugehörig fühlen, es keine bestimmten Zugehörigkeiten mehr geben kann und demnach einen neue, interkulturelle Identität aus alten Traditionen und neuen Identitäten erst herauszufinden ist. Die Fragen des postmigrantischen Theaters sind in die Zukunft gerichtet, weniger in die Vergangenheit. Nicht woher die Menschen kommen, sondern vielmehr wie sie Zukunft gemeinsam gestalten wollen, ist interessant.

Herkunftsösterreicher in der Minderheit

"Pimp my Integration“ erhebt nun den Anspruch der veränderten demografischen Situation endlich auch in Österreich gerecht zu werden, das heißt die Einwanderung auch hier im Theater sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht lediglich darum im Theater die multikulturelle Gesellschaft zu spiegeln, sondern sie auch aus der Sicht von Produzenten mit migrantischem Hintergrund zu zeigen. Die Theatergruppe "daskunst“ steht dabei exemplarisch für eine migrantische Theatergruppe, denn die meisten Mitglieder haben eine Migrationsbiografie und die Herkunftsösterreicher sind eine kleine Minderheit.

Die Projektreihe mit postmigrantischen Positionen weist jedenfalls unmissverständlich darauf hin, dass mit dem wachsenden Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund auch der Kulturbetrieb in Österreich vor beträchtlichen Veränderungen steht.

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