Theater in Zeiten der Unruhe

Werbung
Werbung
Werbung

Vor kurzem feierte das Wiener Burgtheater sein 125-Jahr-Jubiläum mit einem denkwürdigen Kongress. Schauspieler, Regisseure und ehemalige Direktoren des Hauses am Ring wurden eingeladen, renommierte Wissenschaftler ließen die wechselvolle Geschichte und seine weltweit einzigartige Bedeutung weit übers Künstlerische hinaus Revue passieren. "Von welchem Theater träumen wir?“ war die titelgebende Frage, die vom Hausherrn Matthias Hartmann gestellt wurde, und der sein Appell an Politik und Gesellschaft für mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen fürs Theater folgte. Der außerplanmäßige Auftritt eines Billeteurs und dessen Ausführungen über die herrschenden Arbeitsverhältnisse im ausgelagerten Sicherheitsbereich des Hauses wurde schnell unterbrochen und blieb zunächst unkommentiert. Es scheint, als seien die Wahrheiten übers Theater nur dort zumutbar, wo sie die hegemonialen Grenzen von Ästhetik und Politik nicht überschreiten.

Nichts weniger als eine "Neue Wahrheit“ verspricht uns David Bösch nun in seiner Inszenierung von "Mutter Courage und ihre Kinder“. Am Planwagen der resoluten Marketenderin Anna Fierling, Mutter Courage genannt, prangt eben diese Aufschrift in krakeligen Buchstaben gleich neben den feilgebotenen Waren. Der Krieg ist ein gutes Geschäft für die Courage, also tingelt sie unermüdlich mit ihren drei Kindern durch das Treiben des Dreißigjährigen Krieges.

Theatertradition ohne Patina

Im Chronikstil, angefüllt mit derben Chansons und der Musik Paul Dessaus, erzählt Bertolt Brecht frei nach Grimmelshausens "Simplicissimus“ von den Folgen kapitalistischer Weltordnung und faschistischer Verblendung. Das lehrhaft-epische Stück entstand 1938/39 im schwedischen Exil und gilt als warnender Ruf angesichts bevorstehender Katastrophen. Brecht schreibt dazu: "Schrecklicherweise ist die Warnung des Stücks heute nicht überholt, denn nur der spezielle Krieg, vor dem es einst warnte, ist vorbei, aber neue scheinen heraufzuziehen“. Noch heute lösen Brechts Stücke Kontroversen aus, wird er als Moralapostel verunglimpft oder als Theaterprophet gefeiert; die Kritik zu seinem Werk schwankt zwischen Genialität und Langeweile.

Bösch befreit Brechts meistgespielten Dramenklassiker der letzten beiden Jahrzehnte von seiner angesammelten Patina. Im aschgrauen Bühnenbild mit kindlich naiven Illustrationen lässt er Mutter Courage (verletzlich und stark zugleich: Maria Happel) mit ihren Kindern, dem einfältigen Eilif, dem gutgläubigen Schweizerkas und der stummen Kattrin (allesamt grandios: André Meyer, Tino Hillebrand und Sarah Viktoria Frick) durch den Norden Europas ziehen. Während sie auf ihrem Weg immer wieder auf weitere Nutznießer des Krieges treffen, wird ihr ein Kind ums andere genommen, unerbittlich hält sie jedoch am Krieg fest und geht doch am Ende daran zugrunde. Bösch lässt seine Schauspieler als schräge Gestalten in Nestroy’scher Volkstheatertradition auftreten. Famose Musikeinlagen, herzzerreißende Balladen (Musikeinrichtung Bernhard Moshammer) und die bewährt trashig-punkigen Kostüme und Bühnenbilder von Patrick Bannwart geben dem Stück einen kraftvollen Unterton.

Theater bleibt ein Politikum

Eine neue Wahrheit bleibt uns Bösch aber schuldig, Position beziehen möchte er mit dieser Inszenierung nicht. Es ist eine gefällige Aufführung mit herausragender Schauspielleistung. Brecht selbst wäre damit wohl nicht zu beeindrucken gewesen. Sein Theater stand immer außerhalb gesellschaftlicher Komfortzonen, belehrend, laut, zuweilen eintönig, aber immer handwerklich grandios und mit Leidenschaft inszeniert. Politisches Theater, wie es von Brecht und Erwin Piscator und danach von Peter Stein, Peter Zadek oder Christoph Schlingensief bis in die späten 1990er-Jahre hinein für Aufsehen sorgte, scheute nicht davor zurück, gesellschaftliche Phänomene aufzugreifen, historische Ereignisse und aktuelle politische Konflikte zu reflektieren, Kritik öffentlich zu äußern und das Publikum zur Reflexion zu bewegen.

Es scheint, als hätten die Theaterrevolutionen des 20. Jahrhunderts längst ausgedient, aktuelle Konzepte politischen Theaters fehlen, und es genügt schon ein kurzer Blick in die Spielpläne der aktuellen Theatersaison, um festzustellen, dass auch auf den großen Wiener Bühnen Mut und Risikobereitschaft nicht zum Repertoire gehören.

Brechts episches Theater verfolgte seine politischen Zielsetzungen konsequent und kompromisslos. Viele seiner Ideen mögen heute antiquiert und besserwisserisch wirken, die Spuren seines Theaterschaffens sind trotzdem immer noch präsent.

Der Mut zur Wahrheit mag den Bühnen abhanden gekommen sein, der Einbruch der Wirklichkeit ins Theater lässt sich dennoch nicht aufhalten, angesichts von Budgetkrisen, Personaloutsourcing-Debatten und drohenden Schließungsszenarien sind gesellschaftspolitische Themen längst unmittelbare Theaterrealität. Das Theater bleibt also ein Politikum, genauso wie jede politische Auseinandersetzung auch Konsequenzen aufs Theater hat.

Mutter Courage und ihre Kinder

Burgtheater Wien

19., 23. November, 2., 6., 11., 29. Dezember

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung