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Ein Gespräch mit dem russischen Theatermagneten Juri Krasovsky, der zwischen Russland und Mexiko mehr als 50 Stücke inszenierte.

Juri Krasovsky leitete kürzlich ein Theaterseminar in Wien. Im Augenspieltheater in Hall in Tirol läuft seine Inszenierung von Anton Tschechows "Kirschgarten" u. a. mit Alexandra Tichy und Bruno Thost. Im Furche-Gespräch geht es um die Arbeit des Regisseurs, Tschechow, das russische Theater und die Beziehungen Russlands zu Europa.

Die Furche: Herr Krasovsky, Sie lehren Schauspiel und Regie in St. Petersburg, Sie inszenieren mit einem Übersetzer in fremden Sprachen. Wie arbeiten Sie mit dem Ensemble?

Juri Krasovsky: Der Regisseur ist hierzulande oft der Oberbefehlshaber, dem alle zu gehorchen haben. Aber Schauspiel ist eine gemeinsame Kunst. Wir sind Partner in einem ständigen Prozess. Mein Seminar in Wien hatte den Titel "Der Schauspieler als Regisseur seiner Rolle". In diesem Sinn hat der Darsteller auch Autor zu sein.

Die Furche: Sie beobachten die Schauspieler sehr genau und müssen ein besonderes Gehör haben.

Krasovsky: Wenn ich die Augen der Schauspieler nicht sehe, kann ich in keinen Dialog treten. Denn heute kommen sie so, morgen sind sie andere. Wie ich sie antreffe, probe ich. Ich gebe Energie oder helfe, Energie zu finden. Für fremde Sprachen entwickelt man ein "inhaltliches Gehör". Außerdem ist die Psychologie der Stimme international. In bestimmten Situationen verhalten sich alle Menschen gleich. Wir müssen spielen, ohne dabei zu spielen; die Figuren erkunden, ihre Wünsche, Siege, Niederlagen. Theater ist die Quintessenz, nicht das Leben selbst. Wenn die Schauspieler weit gediehen sind, soll der Regisseur auf ein Minimum reduzieren, was er zu sagen hat. Spricht er zu lange, trocknet der Schauspieler aus und arbeitet wie eine Schallplatte.

Die Furche: Was lehren Sie in St. Petersburg?

Krasovsky: Ohne patriotisch zu sein kann, ich sagen, dass die russische Schauspielmethode fundamental ist. Sie wurde auf wissenschaftlicher Forschung aufgebaut. Wir lehren neben Sprecherziehung und Gesang unter anderem Bühnenbewegung, Rhythmik, historische Etikette. Grundlage ist die Methode von Stanislawski-Meyerhold. Dabei versuche ich, die heutigen Verhältnisse miteinzubeziehen. Wir haben auch viele Studenten aus anderen Ländern.

Die Furche: Gibt es einen Tschechow-Stil?

Krasovsky: Seine Sprache ist der Stil. Die russische Schauspielschule legt Wert darauf, die Sprache des Autors zu erkennen und zu vermitteln. Tschechows Texte haben auch viel mit Glauben zu tun. Nicht religiös, ein allgemeiner Glaube an das, was sein soll. Jeder muss seinen Gott in sich tragen. Meine Tschechow-Figuren lächeln, haben die Leichtigkeit des Daseins. Ich folge nicht der Tradition, ihn traurig, mit großen Pausen zu spielen. Die Figuren müssen den Moment leben, nicht das Ende. Wenn die Schauspieler das Mitleid kennen, hat der Zuschauer nichts mehr zu tun.

Die Furche: Was formt die russische Mentalität?

Krasovsky: Zeit und Raum. Das Land ist unvorstellbar riesig. Einmal wurde ich gewarnt, beim Pilzesammeln nicht zu weit in den Wald zu gehen, der gegenüberliegende Waldrand war 700 Kilometer entfernt! Da ist das Ewige gewissermaßen näher. Ein Vorteil und ein Nachteil. Europa denkt pragmatisch an den Nutzen. Ein Stück Land in Österreich wird bearbeitet, bis es erfolgreich trägt. In Russland gibt es unendlich viel Land. Gelingt etwas hier und heute nicht, dann eben morgen und ein Stück daneben.

Die Furche: Wir stehen vor der EU-Erweiterung. Wie sehen sie die Rolle Russlands in diesem Zusammenhang?

Krasovsky: Russland ist Europa. Je früher wir das begreifen, desto eher kommt es zu einem großen Progress für ganz Europa. In der Zivilisation entsteht durch eine Supermacht Spannung, durch zwei Mächte ein Gleichgewicht. Jetzt gibt es die USA, die EU und irgendwo Russland. Wenn Russland mit der EU vereint ist, wird Amerika keine Supermacht mehr sein. Das Gleichgewicht ist hergestellt - ein Gewinn für alle, auch für die Amerikaner.

Das Gespräch führte Ursula Strohal.

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