Theater künstlich und natürlich

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Eine amerikanische und eine japanische Produktion beim Young Directors Project in Salzburg mit einer fragwürdigen Preisverleihung.

In Franz Kafkas "Amerika"-Roman steht Karl Rossmann an einer Straßenecke vor einem Plakat, auf dem das "Naturtheater von Oklahoma" um Akteure wirbt: "Wer Künstler werden will, melde sich! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort! Wer sich für uns entschieden hat, den beglückwünschen wir gleich hier!" So etwas muss dem Nature Theater of Oklahoma, einer jungen Truppe aus den USA, vorgeschwebt haben, als sie daranging, sich auf Theater mit dem Charme des Laienhaften einzulassen. Theater soll nicht Bühne für große Leidenschaften abgeben, sondern der Banalität unseres Alltags gerecht werden.

Bühne für Banalitäten …

Banal ist tatsächlich, was zur Aufführung gelangt. Das Bühnenbild, vorsätzlich auf Dilettantismus getrimmt, zeigt einen gemalten Theatervorhang, so armselig in seiner Ausstattung, dass sofort sichtbar ist, dass wir es mit einer neuen Kargheit zu tun haben. Vor dem Vorhang tummeln sich Anne Gridley und Robert M. Johanson.

Tummeln sich? Ach was, sie stehen so aufgemalt da wie das Bühnenbild und deklamieren einen Text derart outriert, dass wir nie vergessen, gerade einem heiteren Experiment beiwohnen zu dürfen. Auf dem Theaterzettel steht "Romeo und Julia", die beiden bringen dann doch nur ein Stück, das entfernt an Shakespeare erinnert. Das ist Absicht, denn es geht um die Erinnerung! Zu sehen ist nicht, was sich Shakespeare ausgedacht und kunstvoll in bedachte Worte gesetzt hat, sondern was Menschen, die nach dem Inhalt des Stückes befragt werden, dazu einfällt.

So kommen verschieden mickrige Versionen zum Vortrag, die entfernt an das Original denken lassen, sich aber doch irritiert von ihm fortbewegen. Einer der großen Klassiker, eine Säule der abendländischen Kultur, nicht mehr als eine vage Erscheinung im großen Gedächtniskessel, allenfalls gut für rhetorischen Brei. Der Künstlichkeit Shakespeares setzt das Nature Theater of Oklahoma die Natürlichkeit des kulturellen Gedächtnisverlusts entgegen.

Zu beglückwünschen ist weniger das Publikum für eine dürftige Aufführung, sondern Pavol Liska und Kelly Copper, die im Rahmen der Salzburger Festspiele mit dem Montblanc Young Directors Award ausgezeichnet wurden für eine Inszenierung, die besonders zukunftsweisend sein soll. Das war nur eine Produktion von insgesamt vieren, die aus aller Welt ausgewählt wurden, weil in ihnen der Vorschein einer neuen Theaterzeit sichtbar würde.

… oder die Macht der Kunst

Als ernsthafte Kandidatin brachte sich die japanische Truppe "chelfitsch" mit dem Stück "Fünf Tage im März" ins Spiel. Gewiss, was sich nacherzählen lässt, bleibt im Bereich des Albernen, Banalen. Aber Toshiki Okada, zuständig für Text, Regie und Bühne, erzählt von einer Generation, die in der Banalität versinkt. Einer erwacht nach einer durchsoffenen Nacht neben einer ihm unbekannten Frau im Hotel. Er steht für jene, denen Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit den Lebenstakt vorgeben. Wir befinden uns im Jahr 2003 am Vorabend des Krieges, den die USA gegen den Irak zu führen im Begriff sind; Demonstrationen finden statt, die Welt brennt, und inmitten ein Häufchen Menschen, das nicht aus der Ruhe zu bringen ist.

Das sieht auf den ersten Blick so aus, als wollte uns einer die Leviten lesen und uns zu denkenden Menschen erziehen. Aber Okada belässt es bei dieser Feststellung, weil er das Gegenprojekt zum Nature Theater of Oklahoma entwirft. Die Japaner setzen auf die Macht der Kunst dank eines Ensembles, das eine eigenwillige Körpersprache entwickelt. Die Darsteller sprechen ihren Text, und dabei krümmen und biegen, verrenken und winden sie sich, dass sich unter der Hand ein Gegentext zur gesprochenen Sprache einstellt. Die Reden kommen so selbstverständlich alltäglich daher, und der Körper spielt nicht mit. Er führt ein subversives Antileben, in dem Individuen sichtbar werden, die sich im Gleichklang einer rotzig trotzigen Sprache gerade so geschickt zu verbergen suchen. Möglicherweise denken schon alle gleich, aber gut geht es ihnen damit nicht.

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