Alles nur Show: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
Patric Blaser über „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ am Theater an der Gumpendorfer Straße.
Patric Blaser über „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ am Theater an der Gumpendorfer Straße.
Das berühmte Ehedrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Edward Albee aus dem Jahr 1962 gilt als die Mutter aller Eheschlachten. Es handelt bekanntlich von einem in die Jahre gekommenen Paar, dem Geschichtsprofessor George und der Rektorentochter Martha. Die beiden kinderlos gebliebenen Eheleute sind vom Leben ziemlich desillusioniert, ihre Ehe kaputt und leergelebt. Um dem Lebensfrust irgendwie etwas entgegenzusetzen, haben sie sich ein grausames Spiel ersonnen.
Einem Ritual gleich, saufen sie sich allabendlich gehörig an, um sich dann derart betäubt gegenseitig umso hemmungsloser zur Sau zu machen. Die Perfidie besteht darin, dass die Dosen an Boshaftigkeiten immer weiter erhöht werden müssen, damit sie ihre verletzende Wirkung nicht verfehlen. Im Theater an der Gumpendorferstraße spielt Michaela Kaspar Martha als etwas verlebte, trinkfeste, laute und ordinäre Mittelstandsmatrone, der keine Beschimpfung zu giftig ist, um ihrem Gatten die Verachtung entgegenzuschreien. Jens Claßen spielt einen stets ironisch lächelnden, souverän agierenden George. Mit subtiler Eleganz pariert er die Giftpfeile Marthas und macht sich stattdessen einen Spaß daraus, das junge Pärchen mit chirurgischer Präzision zu peinigen. Die Bühne für diese Ehehölle ist karg möbliert: ein Kühlschrank und vier große Sitzkissen. Eine ideale Kampfarena, in der die Steigerungsform dieses Ehelebens mühelos durchbuchstabiert werden kann: gut, besser, am besten bestialisch. Als das jung vermählte Pärchen zum erwarteten Besuch eintrifft, hat das Wohnzimmerehekriegsspiel schon einen ersten Höhepunkt erreicht: „Leck mich am Arsch!“
Nick und Sweety wirken wie zwei Puppen aus dem Hause Mattel: Lisa Schrammel als blonde Barbie verschränkt erst tugendhaft die Knie, gluckst und kichert sich dann besoffen über allerlei Gemeinheiten hinweg oder kotzt, was ihr bulimischer Körper hergibt. Ihr Ken, Raphael Nicholas als Nick, steht meist unbehaglich grinsend herum und klammert sich verlegen am Whiskeyglas fest, das ihm der Hausherr in immer neuen Varianten nachfüllt. Die alkohol- und hassgetränkte Ehehölle der Alten hat aber längst auch die Jungen kontaminiert und Regisseurin Susanne Lietzow lässt offen, wer hier wem und was vorspielt. Sie inszeniert das Stück vor allem als großen Showkampf. Die minutenlange Wrestling-Einlage mit akustisch verstärkten Knochenbrüchen, klatschenden Ohrfeigen etc. gehört denn auch zu den vergnüglichen Höhepunkten des Abends. Da braucht es auch das Gelächter aus der Konserve nicht, mit dem sie einige Szenen quittieren zu müssen glaubt. Man hätte das Spiel, in dem sich Verzweiflung mit Triumph, Sehnsucht mit Versagen, Gemeinheit und Zärtlichkeit abwechseln, in dem Wahrheit in Lüge, das Spiel abrupt in den Ernst des Lebens umschlagen kann, auch so als inszenierte Show zum Zwecke der Erbauung an menschlichen Grausamkeiten verstanden.