Theaterregie statt Regietheater

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Die "gruppe 80" in Wien geht in das 25. Jahr ihres Bestehens. Die Theaterleiter werden sich nach 20 Jahren verabschieden.

Wenn Helga Illich und Helmut Wiesner am Ende der kommenden Saison als Theaterleiter abdanken, überkreuzt sich ihr Abschied mit dem 25-Jahr-Jubiläum der "Gruppe 80", die sich im Herbst 1980 von Conny Hannes Meyers ehemals revolutionären, aber in formalistischen Stilprinzipien erstarrten "Komödianten" abspaltete und, zunächst noch ohne eigenes Haus, anderes Theater machen wollte. Zum Beispiel: Revitalisierung österreichischer Klassiker durch Abtragen von Patinaschichten, die im Text verborgenen Bilder sichtbar werden lassen, transponiert in die Gegenwart, aber ohne darüber gestülpte modische Gags. Aus den Bildern mit komödiantischer Lust die Geschichten entwickeln. Theaterregie eben an Stelle von Regietheater. Wie so etwas höchst erfolgreich funktioniert, bewies Helmut Wiesner in der Wirtshaus-Atmosphäre der Ottakringer "Kulisse" überzeugend mit Nestroys Talisman.

Entscheidungsfreiheit

Ihr Programm, das jedoch nie zur programmatisch-ideologischen Zwangsjacke wurde, führten Helmut Wiesner und Helga Illich auch konsequent weiter, als sie im Oktober 1983 nach mühsamen Adaptierungsarbeiten schließlich ihr eigenes Theater in der Gumpendorferstraße beziehen konnten. Die administrativ-organisatorischen Aufgaben des Mittelbühnen-Betriebes forderten zwar all die Jahre hindurch ein gehöriges Maß an persönlicher Energie, was, wie Helga Illich rückblickend feststellt, mehr als einmal der eigenen künstlerischen Arbeit nicht gerade förderlich war. Dafür entschädigte jedoch, wie Helmut Wiesner betont, die oft genützte Entscheidungsfreiheit, das Risiko für Stücke zu verantworten, die den Zeitgeist unterliefen und auf den ersten Blick wenig Erfolg versprächen. Was sich in den meisten Fällen lohnte. Man sah in der "Gruppe 80" Stücke, die man anderswo nicht zu sehen bekam, oder man sah altvertraute Werke anders, als man sie zu sehen gewohnt war.

Wiesner inszenierte Nestroy und Raimund, Schnitzler - für ihn bis heute der vielleicht wichtigste "österreichische" Autor überhaupt - ohne die berühmt-berüchtigten Schnitzler-Töne und immer wieder den bis vor kurzem anderswo kaum mehr gespielten, damals von Theaterleuten endgültig totgesagten Grillparzer aus einer Probleme unserer Tage anvisierenden Perspektive. Unter den Gegenwartsautoren gehört Wiesners besondere Affinität dem Werk von Peter Handke, aber auch Ernst Jandl fühlte sich dank der mittlerweile Kultstatus genießenden Produktion der Humanisten in der Gruppe 80 bestens aufgehoben.

Während sich Helmut Wiesner von Beginn an vorrangig aufs Regieführen konzentriert hat und nur noch selten selbst auf der Bühne steht, hat sich Helga Illich erst im Lauf der Zeit ans Inszenieren gewagt und - mit deutlichem Interesse an Dramatik aus weiblicher Sicht - ihre unverwechselbare Handschrift gefunden, mit der sie Texte von Marie Luise Fleißer, Marguerite Duras, Jane Bowles oder Djuna Barnes sensibel und detailgenau ausdeutet . Marguerite Duras steht auch mit Gespräch im Park noch einmal auf dem Programm der letzten Spielzeit, in der auf die vielseitige Schauspielerin - überdies nach der Frau Binder in Schnitzlers Liebelei - mit der monströsen Mutter in der Wiener Erstaufführung von Am Ziel eine der großen Thomas BernhardRollen wartet. Inszenieren wird beide Male Helmut Wiesner. Die Vorbereitungen auf die arbeitsintensive Saison unterscheiden sich nicht von den vergangenen Jahren.

Detailgenaue Handschrift

Und nachher? Bei aller Verbundenheit mit ihrem Theater sehen Prinzipal und Prinzipalin dem Abschied gelassen, erwartungsfroh, "nach allen Seiten offen" und voll "Neugier" auf einen Neubeginn in seit Jahrzehnten nicht mehr gekannter Freiheit entgegen. An Ideen dafür mangelt es beiden nicht, fix eingeplant ist aber erst eine Inszenierung Wiesners bei den Reichenauer Festspielen mit einer szenischen Fassung von Joseph Roths Radetzkymarsch. Und natürlich hoffen beide, dass die "Gruppe 80" auch unter neuer Leitung so manchen Schwerpunkt im Wiener Theaterleben setzen wird.

gruppe 80

1060 Wien, Gumpendorfer Str. 67

Tel 01/5865222

www.gruppe80.at

Kartenvorverkauf an den Spieltagen

Di-Sa, 18-20 Uhr

Bürozeiten: Mo-Fr, 10-18 Uhr

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