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Ein Resumee der Wiener Festwochen 2007.

Das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen 2007 darf als Vermächtnis der im April aus dem Leben geschiedenen Schauspielchefin Marie Zimmermann verstanden werden. Sie ist viel gereist und konnte doch nirgends mehr heimisch werden. Von Auckland über Melbourne und Seoul, New York, London, Paris, Brüssel und Berlin, Belgrad, Riga hat sie unermüdlich Theateraufführungen besucht und nach Wien gebracht.

Obwohl Zahlen wenig und über die Qualität eines Festivals rein gar nichts aussagen, sind sie auch diesmal recht eindrücklich: Nicht weniger als 26 Programmpunkte umfasste das von Marie Zimmermann verantwortete Schauspielprogramm, darunter vier Neuinszenierungen, drei Uraufführungen, zwei Auftragsarbeiten und nicht weniger als zwölf internationale Premieren.

Neben den Big shots und regelmäßigen Fest(wochen)gästen (wie Frank Castorf, Luc Bondy, Alvis Hermanis oder Peter Zadek, dessen Inszenierung von Shakespeares Was ihr wollt wegen eines Zerwürfnisses des Regisseurs mit dem Ensemble allerdings abgesagt wurde) mit ihren Großproduktionen war Zimmermann sichtlich bemüht, jenseits des Mainstreams ästhetisch innovative, engagierte oder exotische Projekte zu zeigen.

Die Produktionen stehen unter einem weit gefassten Generalthema, sind nur lose durch eine große Klammer zusammengehalten, die die Verschränkung von individueller Biografie und geschichtlicher Erfahrung, Fakten und Fiktionen behauptet. So sind die Festwochen ihrem Anspruch, politische Realitäten und die Verknüpfung von privater Existenz mit globalen Zuständen/Katastrophen, fallweise gerecht geworden.

Politisch und privat

Vor allem Ad de Bonts jugendgerechte Bearbeitung von Homers Odyssee spannt den Bogen von der griechischen Mythologie in die Gegenwart und verbindet paradigmatisch Politik und Privates. Odysseus' Abenteuer, von Regisseur Klaus Schumacher auf verschiedenen Schauplätzen und über drei Videoscreens wild-romantisch wiedergegeben, sind mit zwei Beispielen aus dem 20. Jahrhundert ergänzt, die vom Verlust von Familie erzählen. Neben einer marokkanischen Familie, die aufgrund des väterlichen Verständnisses von Ehre zerrissen wird und geteilt in Holland und Marokko lebt, erzählt das zweite "Zwischenspiel" die Geschichte eines argentinischen Waisenkindes, das von jenem Offizier adoptiert wird, der zuvor die Eltern gefoltert und umgebracht hat. Das Junge Schauspielhaus Hamburg findet eine klare Schablone einer auseinander fallenden, keinen Halt findenden Gesellschaft, die vom jahrzehntelangen Krieg geprägt ist. Thematisch passt das Epos mit seinem Blick auf das fehlerhafte Agieren des Menschen und den Auswirkungen freilich immer.

Das Birminghamer Ensemble Stan's Café hat in seiner theatralen Installation buchstäblich einen Korridor der Geschichte eingerichtet. Die Performance The Cleansing of Constance Brown erzählt mittels szenischer Miniaturen banale Alltagsmomente bis hin zu historischen Ereignissen unspektakulär im kleinen Raum der Hofstallungen. Die Bühne besteht aus einem Gang, der als Durchzugsstation der Zeiten und ihrer (Anti-)Helden dient. Ohne Worte (aber mit viel guter Musik) funktioniert dieses gelungene Netz von Andeutungen, das sich ohne Verständnisschwierigkeiten in internationale Festivals fügt. Vor allem aber, weil Stan's Café tatsächlich zu einer ungewöhnlichen, ästhetisch innovativen Erzählform gefunden hat, die das Publikum zu eigener Imagination herausfordert.

Das lässt sich gleichermaßen auch für den kanadischen Puppenspieler Ronnie Burkett behaupten, der heuer mit seinem neuesten Stück 10 Days on Earth große Erfolge feierte. In einer atemberaubenden Performance werden zehn Tage eines zurückgebliebenen Mannes mittleren Alters dargestellt, der mit seiner verstorbenen Mutter weiterlebt und sich in die Welt eines Kinderbuchs flüchtet. Ein kleiner Hund und seine "adoptierte" Ente finden sich darin zu einer Familie und bieten sich wechselseitig ein Zuhause. Burkett behauptet mit seinen Marionetten Situationen tiefer Trauer und absurder Komik. Die Puppen dringen in Bereiche vor und eröffnen Wahrnehmungen, wo menschliche Darstellung versagen würde.

Großartige Gastspiele

Die Qualität der Gastspiele war also fallweise sehr hoch, neben den genannten außerdem Sonja von Hermanis, Ivo van Hoves Szenen einer Ehe oder auch Honour Bound von Nigel Jamieson. Auch die Eigenproduktionen präsentierten sich als qualitativ hochwertig, etwa Bondys König Lear und der sehr kontroversiell diskutierte Frank Castorf mit Norden.

Gänzlich missglückt sind allerdings die Auftragswerke der Festwochen. Sowohl Ulrich Rasches, Installation für Sänger und Schauspieler', so der Untertitel von This is not a Love Song, als auch 151 Meter über dem Meer von Stefanie Lorey und Bjoern Auftrag sind völlig misslungen. Die erstere ist eine um atmosphärische Dichte bemühte, aber letztendlich peinliche und prätentiöse Auseinandersetzung mit dem Thema der romantischen Liebe, die in der bescheidenen Erkenntnis des Soziologen Niklas Luhmans gipfelte, Liebe sei nichts als ein Kommunikationscode, also kein Gefühl, sondern bloße Konstruktion.

Auftragswerke missglückt

Genauso wenig erhebend in Erkenntniswert oder sinnlichem Erlebnis war 151 Meter über dem Meer, die wenigstens die Flachheit des hier Gebotenen im Titel schon ankündigen. Der Abend aber wog bleischwer in Nichtigkeit. Wie der Titel auf den tiefsten Punkt der Stadt hinweist, markiert er zugleich den Tiefpunkt der heurigen Festwochen. Das Duo experimentiert seit sechs Jahren mit vor Ort vorgefundenem, dokumentarischem Material. Dass diese nicht gerade neue Idee auch keinen prickelnden Theaterabend beschert, darf getrost als die einzige nennenswerte Erkenntnis der Inszenierung gelten.

Im Vorfeld schickten Stephanie Lorey und Bjoern Auftrag 50 Bürgerinnen und Bürgern, quer durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten, durch Wien. Bei den Spaziergängen sollten sie ihre Gedanken und Assoziationen auf Band festhalten. Aus den über 100 Stunden Tonmaterial kompilierten sie ein Text-Torso von einer Stunde Dauer, der von sieben Schauspielern auf Wienerisch, in beliebiger Choreografie dargeboten wurde. Wenigstens wurde den Besuchern die Gnade der kurzen Aufführungsdauer zuteil.

Ganz im Gegensatz zu John Collins' Gatz nach F. Scott Fitzgeralds Roman The Great Gatsby, dem Baustein des kollektiven literarischen Gedächtnisses des nordamerikanischen Bildungsbürgertums. Der mittlerweile viermal verfilmte Roman wurde von der New Yorker Gruppe Elevator Repair Service in einer siebenstündigen Inszenierung für die Bühne adaptiert. Der Angestellte Nick beginnt über seinem nicht funktionierenden Computer den Roman zu lesen, den das gesamte Büropersonal "mitspielt", oder vielmehr szenisch kommentiert. Obwohl Gatz englischsprachig ist und auf breites Verständnis stoßen sollte, zeigt es auch die Probleme der Transformation.

Die heurigen Festwochen ergeben - obwohl kein einheitliches Bild der Welt - mehr als die Summe ihrer Einzelteile.

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