Therapie für Euro-Völker

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Der Streit zwischen Griechenland und den Eurostaaten kann durch Trotz und Polemik nicht gelöst werden. Damit verfehlt man die entscheidende Frage der Schuldenkrise.

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Der Streit zwischen Griechenland und den Eurostaaten kann durch Trotz und Polemik nicht gelöst werden. Damit verfehlt man die entscheidende Frage der Schuldenkrise.

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Es wird nicht mehr lange dauern und die Europäische Union, konzipiert als eine Familie von Völkern, wird eine intensive Beziehungstherapie benötigen. Da beschimpfen die Griechen die Deutschen als "Erpresser und Diktatoren" (Syriza-Parteizeitung Avgi) und die Gescholtenen keifen zurück, man solle doch der "Bande von Halbstarken ohne Manieren" (Die Welt) einmal auf die Finger klopfen, damit die Griechen endlich Dankbarkeit lernen. In Paartherapien wird oft versucht, mit dem Instrument des Rollentauschs das Verständnis für die Gegenseite zu stärken. Genau so etwas bräuchte die EU auch.

Man stelle sich also vor, die Deutschen würden Querbeet als Betrüger bezeichnet werden, ihre Politiker als Gangster und die Korruption als unausrottbarer Teil des deutschen Wesens. Weil das Land bankrott wäre, würde man ihm einen Sparkurs aufzwingen, Zehntausende Beamte vor die Tür setzen, die Renten um ein Drittel kürzen und die Arbeitslosigkeit auf über 20 Prozent erhöhen. Aus blühenden Einkaufsstraßen würden trostlose Alleen leerer Auslagen. Angela Merkel könnte ihrer Jugend nichts anderes versprechen als eine gefährdete Existenz. Sie wäre gezwungen, ihren Staat als Armenhaus zu verwalten und würde von den hungernden Massen Pleite-Mutti gerufen werden.

Versailles ruft

Einige Ökonomen würden auch historische Parallelen zur Zwischenkriegszeit ziehen, als dem Land in einem Friedensvertrag Reparationszahlungen auferlegt wurden, die durch ihre irrwitzige Höhe die junge Demokratie zum Untergang verdammten. Jeder Deutsche würde sich im Recht fühlen mit seinem Protest gegen die Finanzsklaverei und die Sippenhaftung für die Schuld und Schulden einer anderen politischen Generation. Und trotzig würde man denAufstieg der radikalen Linken und Rechten mit dem Finanzsadismus der Sieger erklären.

Man stelle sich weiters vor, die Griechen befänden sich in der Rolle eines ungeheuer erfolgreichen Industrielandes, des politischen Lenkers der Union, der permanent gefordert wird, anderen Staaten der Gemeinschaft den Deficit Spender und finanziellen Dosenöffner zu mimen. Kanzler Alexis Tsipras würde bei jeder Wachstumsprognose den griechischen Wirtschafts-Imperialismus vorgehalten bekommen. Er müsste zum Drüberstreuen den Deutschen, denen die Griechen schon 240 Milliarden Euro in die Taschen gestopft haben, einen neuen Geldberg nachschieben und als Dank ein "Nazi go home!" kassieren.

Einheit in der Vielgescholtenheit

So also ginge Rollentausch: Bei erfolgreicher Therapie würde man daraus die schwierige Position des jeweils anderen erkennen, und könnte dann zum Kern der Sache vordringen. Ein Kern, der wegen der herrschenden Verdrängung, Leugnung und Projektion viel zu wenig thematisiert wird. Die griechische Kernfrage ist: Ist ein Staat sanierbar, dessen Gesamtverschuldung mit 177 Prozent des BIP die zweithöchste weltweit ist und dessen Marktwirtschaft vollständig ruiniert ist. Die Steuereinnahmen reichen nicht aus, es gibt keine Jobs und wo vorher wenig Investoren waren, sind jetzt keine mehr. Ist ein solcher Staat sanierbar? Diese Frage muss beantwortet werden, auch wenn am Ende der Analyse herauskommen sollte, dass Staatsbankrott und Schuldenabschreibung noch die billigste Variante für alle Beteiligten darstellt. Auf dem Weg zu einer Antwort würde Griechenlands Politikern vielleicht auffallen, dass eine stabile Staatsverwaltung die unverzichtbare Basis für jede gesunde Wirtschaft ist und dass ein nur halbsaniertes Staatswesen letzten Endes noch mehr Arme und noch mehr Arbeitslose bedeutet. Deutschland könnte auffallen, dass kühle Rechnung kostenschonender ist als ein von Moral getränktes Regime, das Makroökonomie mit einem Sündengericht verwechselt. Was Europa jetzt braucht, ist die Fähigkeit, das rationell Beste zu tun. Die Alternative dazu schadet uns allen: Tödliche ökonomische Melancholie.

oliver.tanzer@furche.at | @olivertanzer

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