Tierschutz gehört zum Christsein dazu

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Kommen Tiere in den Himmel? Der deutsche Theologe, Biologe und Priester Rainer Hagencord betrachtet die Rolle des Tieres in Theologie und Kirche aus einem neuen Blickwinkel.

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Kommen Tiere in den Himmel? Der deutsche Theologe, Biologe und Priester Rainer Hagencord betrachtet die Rolle des Tieres in Theologie und Kirche aus einem neuen Blickwinkel.

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Mit seinem Institut für Theologische Zoologie möchte der deutsche Theologe, Biologe und Priester Rainer Hagencord die Rolle des Tieres in Theologie und Kirche neu beleuchten. Dabei leistet er Pionierarbeit. Zwar ist Bewahrung der Schöpfung Thema unter Christen, an eingepferchte Rinder und Legebatteriehennen denken dabei aber die wenigsten.

„Kommen Tiere in den Himmel?“, fragen kleine Kinder oft ihre Eltern beim Tod des geliebten Haustiers und sorgen damit für ein Lächeln auf den Lippen von Mama und Papa. Dass jedoch die Frage weder naiv noch kindisch ist, beweist der katholische Theologe, Biologe und Priester Rainer Hagencord mit seiner Dissertation „Diesseits von Eden. Verhaltensbiologie und theologische Argumente für eine neue Sicht der Tiere“, die auch in Buchform erschienen ist. Seit vielen Jahren schon beschäftigt sich Hagencord mit der Rolle des Tieres in der Bibel und der kirchlichen Lehre. Mit der Einrichtung eines An-Instituts für „Theologische Zoologie“ an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Kapuziner in Münster ist Hagencords Forschungsgebiet nun endgültig im wissenschaftlichen Betrieb Deutschlands angekommen.

„Es wird höchste Zeit, dass Naturwissenschafter und Theologen ihre Erkenntnisse über die wahre Natur des Tieres und den Platz des Menschen in der natürlichen Welt zusammentragen. Gerade die christliche Religion, die christliche Lehre, kann wesentlich durch eine geläuterte und moderne Sichtweise dazu beitragen, alle Geschöpfe auf dem Planeten zu schützen“, schreibt die weltberühmte Primatologin Jane Goodall im Vorwort zu Hagencords Arbeit. Sie übernahm die Schirmherrschaft für das neu gegründete Institut.

Auf seinem Wissenschaftsgebiet ist Rainer Hagencord ein Pionier. Dabei ist das Thema höchst aktuell: Jahr für Jahr steigt der Fleischkonsum. „Nutzvieh“ wird unter katastrophalen Bedingungen gezüchtet und gehalten, der niedrige Preis für Fleisch zwingt Landwirte dazu, in immer kürzer Zeit immer mehr Fleisch zu „produzieren“, oftmals unter Einsatz von Kraftfutter und Antibiotika.

Dennoch werden Tierschützer in unserer Gesellschaft oft als Spinner oder gar als Terroristen schubladisiert, Tier-Ethik im Bereich der Philosophie ist an den Universitäten bestenfalls ein Randthema.

Ähnliches gilt auch für die Theologie. Nur wenige Professoren nehmen sich der Tiere an, fragen nach ihrem Stellenwert in Bibel und Kirche sowie einem aus christlicher Sicht rechtfertigbaren Umgang mit ihnen.

Dass Tiere beim theologischen Nachdenken bis heute oftmals komplett außer Acht gelassen wurden und werden, habe laut Rainer Hagencord eine lange Tradition. Mit Beginn der Neuzeit musste der Mensch neu gedacht werden. René Descartes sah den Menschen als „Meister der Natur“, dem das Tier als seelenloser Automat gegenüberstand. Noch heute befinde sich unser Denken im Schatten des großen französischen Philosophen. Die meisten Menschen würden sich nicht mehr als Teil der Natur begreifen, sondern als ein Gegenüber zur Pflanzen- und Tierwelt. Dieser Eindruck wurde durch die Industrialisierung noch verstärkt. „Dass wir heute von Fleischproduktion reden, spricht Bände“, meint Hagencord, angesprochen auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier.

Das „Animalische“ wird verdrängt

Dazu komme, dass die Kirche immer schon geneigt war, das animalische – auch im Menschen – zur Seite zu rücken oder gar ganz zu verdrängen, erklärt der Theologe. Dies zeige sich ansatzweise auch bei den aktuellen Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche Deutschlands. „Sexualität als animalische Kraft im Menschen wird in den Schatten gestellt.“

Descartes war es auch, der die biblische Wendung „Macht euch die Erde untertan“ nach seinem philosophischen Weltbild deutete: Der Mensch als absoluter Herrscher über das Vieh – eine Sichtweise, die bei Christen weit verbreitet ist. „Heute wissen wir, dass es in dieser Stelle nicht um ein ‚Herrschen‘ in einem tyrannischen Sinn geht. Das Wort, das hier in der Bibel steht, wird an anderer Stelle nur im Sinne von ‚fürsorgen‘ in Zusammenhang mit einem guten Hirten oder König gebraucht“, so Hagencord.

In der Geschichte von Noah spielen Tiere ebenfalls eine zentrale Rolle, betont Hagencord. Nachdem die Sintflut vorüber war, schloss Gott einen Bund mit den Menschen und „mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren des Feldes, mit allen Tieren der Erde, die aus der Arche gekommen sind“, so wortwörtlich die biblische Verheißung. „Als ein befreundeter Religionslehrer dies seinen Kollegen erzählte, holten alle eine Bibel und schauten nach, weil sie es einfach nicht glauben wollten“, erzählt Hagencord erstaunt. Doch auch andere Beispiele aus der Bibel räumen den Tieren eine besondere Stellung ein. Das Sabbatgebot beispielsweise, das Ruhezeiten auch für das Vieh vorschreibt oder die den Menschen als Vorbild präsentierten „Vögel des Himmels“ in der Bergpredigt, die ganz auf Gott vertrauen.

Neuer Umgang mit Tieren

Das aus diesen Erkenntnissen Konsequenzen für den Umgang mit Tieren folgen müssen, ist für Hagencord eine Selbstverständlichkeit. „Wir haben den Auftrag, die Schöpfung zu bewahren.“ Dies umfasse aus Sicht Hagencords aber nicht nur den Umweltschutz und Aktivitäten gegen die Klimaerwärmung. „Es ist ja lobenswert, wenn Gemeinden Solarzellen auf ihren Dächern installieren, aber der Tierschutz gehört genauso dazu!“ Die wenigsten würden bei Schöpfung an Rinder oder Schweine denken, die aus Kostengründen in der größten Sommerhitze quer durch Europa transportiert werden, nur weil der tausende Kilometer entfernte Schlachthof die Tiere um ein paar Cent günstiger tötet. Problematisch werde es dann, wenn zu Ostern das Fleisch aus der Massentierhaltung auch noch gesegnet wird, findet Hagencord.

Dennoch lasse sich aus der Bibel kein Zwang zum Vegetarismus ableiten. „Der Genuss von Fleisch gehört laut Bibel zum Mensch-Sein dazu. Aber es geht um den Umgang mit den Tieren, um den Respekt ihnen gegenüber“, sagt Hagencord.

Den Respekt den Tieren gegenüber vermisst Hagencord aber. „Wenn ich an die leergefischten Meere denke oder das eingepferchte Vieh, dann sehe ich, wie die ganze Schöpfung seufzt.“ Jetzt gehe es darum, die Schöpfung zu befreien, wie es unsere Aufgabe als Töchter und Söhne Gottes sei, fordert Hagencord und nimmt damit Bezug auf den Paulusbrief an die Gemeinde in Rom. „Die Schöpfung muss von der Sklaverei befreit werden – das gilt heute in erster Linie den Tieren.“

Bleibt noch eine Frage offen: Kommen Tiere in den Himmel? „Wohin denn sonst?“, antwortet Hagencord wie aus der Pistole geschossen. „Denn letztlich haben sie genauso wie wir eine Seele.“

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