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"Das vierte Gebot" von Ludwig Anzengruber am Theater in der Josefstadt.

Töchter sind väterliches Eigentum. Deshalb können sie auch verkauft werden. Dass sich an der Macht und Wirksamkeit patriarchaler Strukturen bis heute wenig geändert hat, erzählt der designierte Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger. Ludwig Anzengrubers Sozialtragödie "Das vierte Gebot" ist in ihren Grundzügen durchaus aktuell. Anzengruber zäumt das Pferd von hinten auf: Wer seine Kinder nicht ehrt, der macht das vierte Gebot zur inhaltsleeren Phrase. Wo Respekt nicht gelehrt wird, kann er auch nicht wachsen.

Ehrgeiz einer Generation

50 Jahre vor Ödön von Horváths Fräuleindramen hat Anzengruber die Unterdrückungsmechanismen innerhalb kleinbürgerlicher Familienstrukturen offengelegt, auch wenn er an Horváths dramaturgische Lakonie nie heranreicht.

Hinter dem gut Gemeinten steckt nichts anderes als der Ehrgeiz einer Generation, die ihre Interessen durch ihr biologisches Eigentum umgesetzt wissen möchte. Gott wird dabei zum Argument für wirtschaftlichen Aufstieg.

Anzengruber hat sich mit "Das vierte Gebot" den Ruf eines antikatholischen Tendenzautors eingeholt. Dabei hat er lange vor Sigmund Freud die Familie als Wiege psychischer Defizite angesprochen: Die aus großbürgerlichem Haus stammende Hedwig (Maria Köstlinger) liebt Robert (Peter Scholz), doch der "wohlmeinende" Vater (Franz Robert Wagner) verheiratet sie mit dem Kapitalistensohn Stolzenthaler (Franz Tscherne). Dieser wiederum steht mit Josepha (Sandra Cervik) in einer Verbindung. Die wirtschaftlichen Interessen siegen, die Vergewaltigung Hedwigs durch ihren zukünftigen Mann ist die Manifestation der Macht und keine Sünde angesichts der bevorstehenden Ehe. Die Gier des Drechslermeisters Schalanter (Alexander Grill) und seiner Frau (Elfriede Schüsseleder) nach sozialem Aufstieg büßen deren Kinder Josepha - die nichts anderes kennt, als ihre Weiblichkeit zu verkaufen - sowie Martin (Alexander Pschill), der als Soldat den elterlichen Ehrgeiz befriedigt. Von der früheren Freundschaft zu Eduard (Florian Teichtmeister) ist nichts übrig geblieben. Eduard ist mittlerweile Priester und hat damit das Lebensziel seiner bigotten Eltern (Adelheid Picha, Toni Slama) scheinbar erfüllt. Nachts schleicht er zu gefallenen Mädchen.

Sowohl Text als auch Inszenierung sind mit vielen Klischees gut durchwachsen, doch eine Beziehung ist lebendig und von besonderer darstellerischer Leistung: Elfriede Ott überrascht als bedingungslos liebende Großmutter Martins, ein Orakel der Fürsorge und ehrlicher Zuneigung. Alexander Pschill gelingt zusammen mit ihr eine ausgesprochen starke Schlussszene. Er zeigt das tief berührende Bild eines verzweifelten Verbrechers, der selbst Opfer sozialer Strukturen ist.

Verzweifelter Verbrecher

"Das vierte Gebot" ist trotz mancher Schwachstellen ein kluges Stück, das Föttingers Versuche, Aktualitätsbezug herzustellen (Eminem-Sound, Skater und Graffiti), gar nicht braucht. Genauso wenig wie so manche moralinsaure darstellerische Pose, die ein Teil des Ensembles bedeutungsschwer zur Schau stellt. In den Details schafft Föttinger Qualität, und so eröffnet diese in größten Teilen stimmige Arbeit hoffnungsvolle Neugier auf die Zukunft der Föttinger-Josefstadt.

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