Tödlicher Autograph

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Der neue Roman von Gerhard Roth handelt von der Verführbarkeit des Geistesmenschen.

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Der neue Roman von Gerhard Roth handelt von der Verführbarkeit des Geistesmenschen.

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Das Bildungs-Namedropping, das Gerhard Roth in seinem jüngsten Roman "Der Plan" betreibt, das Aufzählen der Bücher, die Konrad Feldt kennt, der Bilder, die er vor Augen hat, der Bezüge, die er herzustellen weiß, wird stellenweise richtig ärgerlich, reibt dem Leser seine Unwissenheit unter die Nase, läßt aber glücklicherweise mit Fortgang der Handlung nach. Auch verzeiht es der Leser dem Autor immer lieber, je stärker er sich von Feldts Ängsten fesseln läßt: Will der Antiquar Hayashi Feldt ermorden, ermorden lassen oder zumindest um den Kaufpreis des Stückchens Papier prellen, das Feldt zeitweise zwischen Schutzumschlag und Deckel des Bändchens mit Dantes "Göttlicher Komödie" und den Illustrationen von Gustave Dore verbirgt? Wer der Versuchung erliegt, vorzeitig den Schluß zu lesen, wird gründlich aufs Eis geführt. Deshalb soll man das Vorauslesen bleiben lassen. Denn die kunstvoll gesteigerte Krimi-Spannung, all das dramatische, für die eine oder andere Romanfigur letale, der Hauptfigur des Romans höchst verdächtige, sie ängstigende äußere Geschehen lenkt nach allen Regeln einer exzellent beherrschten klassischen Krimi-Technik vom Täter ab, bis nicht nur die Handlung, sondern sie selbst, die Erzähltechnik des Kriminalromans, sich auf völlig unerwartete Weise überschlägt, der hochliterarische Krimi sich plötzlich als Nicht-Krimi entpuppt, jedenfalls als kein herkömmlicher, und alle retardierenden erzählerischen Abschweifungen plötzlich auf bestürzende Weise ihren Sinn bekommen: Wie der Schelm selber ist, so denkt er von den anderen. Aber damit ist schon fast zuviel verraten.

Obwohl "Der Plan" also eigentlich kein Kriminalroman ist, wird ein Verbrechen vom Beginn an spannend entwickelt und konsequent zu Ende gedacht. Eigentliches Thema ist die Verführbarkeit des Geistesmenschen, wie Thomas Bernhard den Dr. Konrad Feldt, wäre er ihm lebendig begegnet, zweifellos genannt hätte. Feldt ist nicht nur in der österreichischen Nationalbibliothek angestellt, sondern Büchermensch durch und durch, lebt mit Büchern, lebt durch das geschriebene Wort, liebt die Bücher aber nicht nur ob ihres Inhalts, sondern auch sinnlich, in ihrer körperlichen Erscheinung, geradezu libidinös.

Niemals hätte dieser in einer Döblinger Villa aufgewachsene junge Mann aus bester Familie, Sohn eines Arztes, Großneffe eines Leibarztes Kaiser Franz Josephs, ein Stück Papier, die rechte untere Ecke der letzten Seite aus Mozarts Originalhandschrift des Requiem, die letzten Zeilen also, die Mozart in seinem Leben geschrieben hat, die letzte Spur seines Erdendaseins, brutal herausgerissen. Aber die Untat ist nun einmal geschehen, der Täter, der Oberaufseher Glaser, hat - in der Meinung, er sei entdeckt - vor Feldts Augen Selbstmord begangen, das Stück Papier ist in seiner Hand und niemand weiß davon. Und auch der Kontakt zum japanischen Antiquar Hayashi ist bereits ohne Feldts Zutun angebahnt. Fanatische Sammler werden bereit sein, für dieses Stück Papier tief in die Tasche zu greifen. Gerhard Roth dürfte den Wert nicht unrealistisch einschätzen, wenn er Feldt an eine Million Dollar denken läßt.

Er unternimmt die von Hayashi eingefädelte Vortragsreise nach Japan. Seine Vorkehrungen, nicht übers Ohr gehaut zu werden, sind geschickt mit seinen Reiseeindrücken, einer Liebesgeschichte und verschiedenen Begegnungen verschränkt. Seine Reiseeindrücke sind so ausführlich geschildert, daß man am liebsten selbst nachprüfen möchte, ob das Gästezimmer des Goethe-Instituts in Kyoto tatsächlich so ein klaustrophobische Gefühle erzeugendes Gelaß ist und ob Roth bei der Beschreibung des Friedhofs, auf dem der Dichter Inoue begraben ist, einen fiktiven oder realen Ort vor Augen hatte - ja, so neugierig sind Leser. Bei den Magazinen der österreichischen Nationalbibliothek hat sich Roth jedenfalls vertan oder absichtlich Schauplätze verfremdend vermischt, denn den Gitterrost, durch den hindurch man "alle fünf Stockwerke bis hinunter zur tiefsten Etage" blicken kann, gibt es bekanntlich nicht in der Nationalbibliothek, sondern im Staatsarchiv. Bei dieser Gelegenheit sei auch gleich angemerkt, daß es dem Literatur-Lektorat des Verlages S. Fischer kein gutes Zeugnis ausstellt, wenn es Flüchtigkeitsfehler ausgerechnet bei den Fällen durchgehen läßt. "Glaser verfügte über eine Dienstwohnung, der einzigen im ganzen Gebäude": Ein solcher Satz wirkt ebenso störend wie die Eindeckung japanischer Häuser statt mit glasierten mit "glacierten" (also vereisten oder mit Tortenüberguß versehenen) Ziegeln oder die Tatsache, daß Feldt "erschreckte" (selbst, nicht jemanden). Daß Schlampereien, die längst an der Tagesordnung sind und über die man in anderen Büchern hinweggeht, bei Gerhard Roth stören, ist freilich auf die Umgebung zurückzuführen, in der sie auftreten, nämlich auf die Eleganz und Präzision seiner Sprache und stellt dieser somit das beste Zeugnis aus. "Der Plan" ist großartig erzählt: Er ist spannend, aber an keiner Stelle trivial, und wird trotz des streckenweisen Bildungs-Namedroppings und ausführlicher Beschreibungen niemals langatmig oder gar langweilig. Über den Schock, den man am ziemlich überraschenden Ende versetzt bekommt, denkt man noch eine ganze Weile nach.

DER PLAN Roman von Gerhard Roth S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1998 302 Seiten, Ln., öS 277,-

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