Töpfchen und Köpfchen

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Das Gesicht der Verachtung für das fremde Wesen, das man fürchtet, weil man es nicht versteht, das kann man zur Zeit im Wiener Volkstheater studieren: Grillparzers "Medea", in Anna Badoras markanter Inszenierung nachdrücklich verkörpert von Stefanie Reinsperger, nimmt die Mühen der Anpassung willig auf sich (sogar das Walzertanzen will sie lernen), doch man dankt es ihr nicht. So bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als am Ende wieder die zu werden, die sie in den Augen der andern immer war: die Wilde.

Die Farce zur Tragödie spielt sich alle Tage rund um uns ab. Zum Beispiel jüngst in einem deutschen Zug. Ein türkischer Vater reist mit seiner kleinen Tochter, der Schaffner erscheint. "Mein Papa ist am Klo", sagt das Mädchen. "So, am Klo", sagt der Schaffner, und in seiner Stimme schwingt aller Argwohn mit, den ein ausredengeprüftes Kontrollorgan in sie hineinzulegen vermag. Er macht nicht etwa vorerst mit den anderen Fahrgästen weiter, er geht der Klofrage auf den Grund: "Auf welchem denn? Da ist nämlich keiner." Weil der Kollege von der anderen Seite ebensolches bestätigt, scheint das Kind überführt, als es programmwidrig sagt: "Da ist er schon." Jetzt könnte die kleine Szene zu Ende sein, sie ist es aber nicht, weil der deutsche Schaffner sich in seinem rechtschaffenen Diensteifer desavouiert sieht. Und so erklärt er der Tochter in pädagogisch übermotivierter Lautstärke: "Dann muss er aber auch die Tür verriegeln, wenn er aufs Klo geht!" Das Kind schweigt, der Vater bekommt es tatsächlich noch einmal gesagt, und zwar so, dass es wirklich jeder im Wagen hört: "Sie müssen aber schon die Tür verriegeln!" Auf den Blick der Berichterstatterin hin disponiert der Schaffner um und zeigt so erst recht die Überlegenheit des Leitkulturträgers: "Ja, wenn man so am Töpfchen sitzt und man bekommt die Tür ans Köpfchen!"

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

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