Tolstoi von Transsylvanien

19451960198020002020

ER WAR POLITIKER UND SCHRIFTSTELLER UND ERZÄHLTE DIE GESCHICHTE SIEBENBÜR-GENS VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG IN EINEM OPULENTEN ROMANWERK: MIKLÓS BÁNFFY.

19451960198020002020

ER WAR POLITIKER UND SCHRIFTSTELLER UND ERZÄHLTE DIE GESCHICHTE SIEBENBÜR-GENS VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG IN EINEM OPULENTEN ROMANWERK: MIKLÓS BÁNFFY.

Werbung
Werbung
Werbung

Den Tolstoi von Transsylvanien nennt man ihn, den Grafen Miklós Bánffy, und wer den soeben auf deutsch erschienenen Roman "Die Schrift in Flammen" aufschlägt, zu lesen beginnt und Tolstoi kennt, weiß sofort warum: Die Handlung setzt ein wie ein Historienfilm, die Landschaft wird detailreich gemalt und gibt die Stimmung wieder. Auf der Landstraße fährt eine von drei Pferden gezogene Mietkutsche. Bálint Abády ist unterwegs nach Vársiklód, "wo es nach dem Wettrennen eine große Zusammenkunft und am Abend einen Ball geben wird." Während die Pferde gemächlich die Landstraße entlang traben, überholt so manche Kutsche sein Gespann: Gelegenheit für den Autor, Figuren des Romans einzuführen, jene Gesellschaft vorzustellen, die in dieser Romanwelt porträtiert wird. Die epische Breite und der Detailreichtum werden sich durchs ganze Werk ziehen, das schmachtende Liebesgeschichten ebenso erzählt wie politische Diskussionen und Jagd-und Ballgeflüster der höchsten Gesellschaftskreise. "Tatsächlich besitzt Ungarns Literatur kein vergleichbares Werk, welches die inzwischen untergegangene Aristokratie, ihre Lebens-und Denkweise, ihr Umfeld und ihre Sitten mit solcher Anschaulichkeit aus innerer Vertrautheit schildert", schreibt Andreas Oplatka im Nachwort der soeben erschienenen deutschen Übersetzung des 781 Seiten starken ersten Teils der "Siebenbürger Geschichte".

Politik und Literatur

In diese Romantrilogie hat Graf Bánffy Spuren seines Lebens eingewoben. Das beginnt beim Milieu, in dem dieser Roman spielt: die Siebenbürger Aristokratie kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges. Das betrifft aber auch die beiden Hauptfiguren des Romans: Bálint Abády, der zurückkehrt nach Siebenbürgen, um Abgeordneter im Parlament zu werden, und László Gyeröffy, Musiker und Spielsüchtiger. Beide Seelen hatte Graf Bánffy in seiner Brust: die Politik und die Kunst.

Am 30. Dezember 1873 in Klausenburg, ungarisch Kolozsvár, rumänisch Cluj, in eine der vornehmsten und reichsten Familien geboren, studierte Bánffy Rechts-und Staatswissenschaften. Und seine berufliche Laufbahn begann politisch: Als zunächst liberaler, dann parteiloser Abgeordneter saß er im Parlament, ab 1906 war er Klausenburger Obergespan (Präfekt). Dieser Zeit seines Lebens verdanken sich die genauen Einblicke in die Ereignisse im Siebenbürger Parlament dieser Jahre: Die Kritik an den Verhinderern von Reformen hat sich dem Roman ebenso eingeschrieben wie jene am Nationalismus, dem im von Ungarn, Rumänen und Deutschen bewohnten Siebenbürgen besondere Bedeutung zukam, etwa wegen der Magyarisierung der rumänischen Minderheit. Bánffy kannte zudem die Machenschaften der Politik hinter den Kulissen und erzählt sie auch: Da gibt etwa die eigene Mutter Geld, damit der ahnungslose Sohn seinen Abgeordnetenposten erhält. Unheimlich aktuell lesen sich auch die gemeinsamen Jagdausflüge derer, die das Sagen haben.

Der Adelige Bánffy begegnete der Aristokratie kritisch und wollte etwa in der Landwirtschaft die Genossenschaftsidee umsetzen. Umso tragischer, dass Bánffy im kommunistischen Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg als Adeliger keine Bedeutung mehr haben durfte.

So kam es, dass ein Werk, das zunächst sehr erfolgreich war, für Jahrzehnte in Vergessenheit geriet. Erst 1982 wurde der erste Band der Trilogie in Ungarn wieder aufgelegt, der nun endlich auch ins Deutsche übersetzt wurde. Das Werk, das ein Stück Vergangenheit der österreichisch-ungarischen Monarchie erzählt, hat nun also den Weg in den österreichischen Sprachraum gefunden.

1910 trat Bánffy vom Posten des Obergespans zurück. Von 1912 bis 1918 war er Intendant der Budapester Oper, später sogar ungarischer Außenminister, als der er -wie Andreas Oplatka in seinem informativen Nachwort erwähnt - 1922 auf der Konferenz von Genua Karikaturen der am Tisch versammelten Politiker zeichnete. Bánffy, der Künstler, widmete sich dann dem Schreiben: Er verfasste Theaterstücke und Novellen und eben jene "Siebenbürger Geschichte", die die Zeit von 1904 bis 1914 erzählt, also das letzte friedliche Jahrzehnt der österreichisch-ungarischen Monarchie, von der nun der erste Band unter dem Titel "Die Schrift in Flammen" erschienen ist.

Die drei Bände entstanden 1934,1937 und 1940 und tragen den Untergang schon im Titel, die in etwa so zu übersetzen wären: "Du wurdest geprüft","Du wurdest in Mangel befunden","In Stücke wirst du gerissen". Dem Untergang geweiht war auch der Familiensitz der Bánffys. 1943 versuchte Bánffy eine Allianz von Ungarn und Rumänien gegen Hitler zu veranlassen. Aber der Plan scheiterte, unter anderem an der Frage des Siebenbürger Territoriums. Bánffy selbst bekam Folgen zu spüren: eine SS-Einheit steckte das Schloss in Bonchida in Brand.

Trotzdem kehrte er noch einmal nach Siebenbürgen (inzwischen rumänisch) zurück, schrieb weiter, hatte aber kaum Publikationsmöglichkeiten. 1949 wurde dem Auswanderungsgesuch des Mittellosen stattgegeben. Schwerkrank wurde er in einer Budapester Klinik schließlich unentgeltlich behandelt. Dort starb er am 6. Juni 1950.

Politische Literatur

Wie politisch er seine Trilogie verstand, zeigen jene Zeilen, die Bánffy am Ende seines Lebens enttäuscht notierte. "Wir suchten die Erklärung für jeden Übelstand und jeden Fehler einzig außerhalb von uns, und vor unseren eigenen Sünden verschlossen wir die Augen. Wir mussten sehen, dass wir dabei waren, die ungarische Zukunft allein durch die Wiederherstellung der Vergangenheit erreichen zu wollen. Entgegen

meiner Hoffnung zog man aus meinem Werk keine Lehre. Niemand erkannte, dass die Kritik, welche die führende Klasse vor 1914 darstellte, richtete und verurteilte, für die Führer nach dem Krieg ebenso gültig war. Dass diese den gleichen Totentanz tanzten wie ihre Vorgänger zwischen 1904 und 1914 und das ebenso unwissend taten, ebenso ohne Sinn für die großen Lebensaufgaben und für die uns umgebenden Gefahren, die unseren nationalen Bestand bedrohten."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung