Torheit und Ärgernis: das Kreuz

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Das Zeichen der Hinrichtung Jesu ist zum Ornament verkommen: als Schmuck im Dekolleté von Popstars wie als goldenes Brustkreuz christlicher Würdenträger. Eine Karfreitagsprovokation.

"Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1 Kor 1,22-26)

Die Allgegenwart des Kreuzes im katholischen Raum ist eine unerkannte Provokation: Die Hinrichtung des Religionsstifters ist zum Ornament verkommen. Ob als Schmuck im Dekolleté der Popstars oder im goldenen Pektorale unter den Sakkos der Kirchenfürsten - nachdenkliche Menschen fern der Kirchenroutine finden es schwer verständlich, dass man sich mit der Darstellung der Hinrichtung Jesu schmücken kann. Um es noch drastischer zu sagen: Hätte man Jesus am Galgen umgebracht - würden sich katholische Hierarchen den goldenen Jesus an einem goldenen Galgen an goldener Kette als Symbol kirchlicher Amtsgewalt um den Hals hängen?

Diese Einleitung ist eine notwendige Karfreitagsprovokation angesichts der ornamentalen Verwendung des Kreuzes im kirchlichen Alltag. Dabei ist sehr wohl zu unterscheiden zwischen dem Kreuz als einfachem Symbol mit gekreuzten Balken - und dem Kruzifix, der bildlichen Darstellung der Hinrichtung Jesu. Immerhin war es jahrhundertelang verpönt, die Kreuzigung bildhaft darzustellen. Das Kreuz diente anfangs zur Verspottung der Christen und tauchte in der Kunst zuerst symbolisch verfremdet auf: Jesus als König gekleidet und mit den Wundmalen an den ausgebreiteten Händen vor dem Kreuz stehend, dann erst gegen die Jahrtausendwende entkleidet, gekreuzigt, von Schmerz und Tod gezeichnet.

So wurde es zum kostbaren Kunststück, schließlich sogar banalisiert in den vielen Kreuzen zur ornamentalen Gestaltung der Kirchen, Geräte und Gewänder mit kreuzbestickten Borten und Bändern. Zeitgenössische Architektur und kirchliche Kunst zeigen in den letzten Jahrzehnten zunehmend sparsam und manchmal auch irritierend das Kreuz und den Gekreuzigten, ja sogar in asketischer Grausamkeit den Delinquenten nicht ans Holz, sondern an die nackte Wand genagelt. Hier wird die Szene der sadistischen Entblößung, Verhöhnung und Demütigung des Religionsstifters manchmal bis an die Grenze zur Blasphemie zugespitzt: Was die Bibel als "Torheit des Kreuzes“ bezeichnet, wird nicht verbrämt, sondern bloßgelegt.

Das Kreuz als Ornament?

Kann man sich mit dem Kreuz schmücken? Was bedeutet es, das Werkzeug der finalen Demütigung Jesu als edles Schmuckstück oder gar als Autoritätssymbol zu verwenden? War nicht das frühchristliche Kreuztabu der wahren Bedeutung des Symbols höchst angemessen? Die einmalige rituelle Enthüllung des Kreuzes in der Karfreitagsliturgie lässt noch die verlorengegangene Ehrfurcht ahnen. Auch die volkstümliche Verortung im Herrgottswinkel als sozusagen heimischen Hausaltar, an einer Wegkreuzung als spirituelles Orientierungssymbol oder als Anhänger am Hals eines gläubigen Menschen verdient jeden Respekt. Jedoch als auffälliges Ornament und kostbares Schmuckstück für gehobene Amtsträger?

Es ist bemerkenswert, dass einige christliche Kirchen den ursprünglichen Respekt vor dem Kreuz bewahrt haben und das Kruzifix entweder sparsam oder gar nicht verwenden. Am liebsten würde man den Kirchen raten, das Kreuz tatsächlich nur einmal im Jahr für wenige Stunden zu enthüllen, oder es doch wenigstens den Gotteshäusern und dem Gottesdienst vorzubehalten. Denn das christliche Kreuzes hat seinen Ursprung in einem Akt extremer Grausamkeit: einen Menschen nackt ans Holz zu nageln, bis ihn ein langer, beschämender und qualvoller Tod vor einer höhnenden Öffentlichkeit erlöst.

Ein verlorengegangenes Sakrament?

Die Kreuzigung gehört zu den Höhepunkten der Grausamkeitsgeschichte der Menschheit - gemeinsam mit den gepfählten, aufs Rad geflochtenen, den langsam und öffentlich zu Tode gemarterten Opfern aller Zeiten. Man wundert sich eigentlich, dass aus diesem demütigenden und verstörenden Ritual ein Schmuckstück, ein Ornament, ein Kunstobjekt werden konnte. Doch wenn die Erinnerung an das Kreuz nicht mehr schmerzt, verliert das Symbol seine Kraft. In der mittelalterlichen Theologie - vor der Einschränkung auf die heutige Siebenzahl - galt das Kreuz tatsächlich als Sakrament: als wirksames Zeichen des Heils. Doch heute ist dieser geistliche Schatz der Kirche zur harmlosen Behübschung, zum Modeschmuck, zur Belanglosigkeit verkommen.

In der heutigen Kirche - autoritär, hierarchisch und eitel - wirkt das Kreuz wie ein "verlorenes Sakrament“. Seine Bedeutung scheint vergessen. Wo nach der Weisung Jesu jener der Größte ist, der zum Diener aller wird, schmücken sich die von Kirchendienern zu Kirchenfürsten aufgestiegenen Hierarchen mit dem Zeichen der Niederlage Jesu als Symbol des eigenen Aufstiegs. Vielleicht findet man die Nachfolger Jesu eher unter jenen Kirchendienern, die unsere Kirchen putzen und schmücken - also vorwiegend unter Frauen - als unter den bevollmächtigten Befehlshabern einer autoritären Männerkirche. Wenn es eine Botschaft des Kreuzes gibt, dann besteht sie nicht darin, sich mit dem Kreuz zu schmücken, sondern das Kreuz zu tragen.

Ein schlichtes Holzkreuz

Darf man sich eine Kirche wünschen, die das Kreuz ernstnimmt, statt es als Ornament zu missbrauchen? Es wäre eine ganz andere Gemeinschaft als jene, die heute mächtig und herrschaftlich auftritt: als Sakralmonarchie mit einem geistlichen Alleinherrscher, ausgestattet mit uneingeschränkter Befehlsgewalt (Jurisdiktionsprimat) und irrtumsfreier Lehrvollmacht (Unfehlbarkeit). Eine Kirche im Zeichen des Kreuzes würde die Leidenden bestärken, die Trauernden trösten, die Schuldigen aufrichten und die Unterdrückten ermutigen. (Gottlob - es gibt diese Kirche noch, von oben mehr geduldet als gefördert.) Eine Kirche, die keine Tränen trocknet, wird trostlos. Eine Kirche, die Vergebung verweigert, wird hartherzig. Eine hierarchische Kirche wird herrschsüchtig.

Wenn jener als der Höchste zu gelten habe, der - nach biblischer Weisung - der "Diener aller“ sein will, dann kann man sich als "Diener der Diener Gottes“ nur jemand vorstellen, der möglichst unparteiisch die verschiedenen Gruppen versöhnt und verbindet, Spaltungen überwindet und auf Symbole von Macht und Herrschaft verzichtet. Ihm wird ein schlichtes Holzkreuz genügen, eine einfache Amtskleidung und ein fröhlich-freundschaftliches Auftreten. Wer da an Johannes XXIII. denkt, wird nicht fehlgehen. (Und wenn es - Gott behüte - eine Frau wäre?) Vor einem halben Jahrhundert begann ein Konzil, das vielen Christinnen und Christen - darunter dem damals studierenden Autor dieses Textes - Hoffnung auf eine von Grund auf erneuerte Kirche gegeben hat.

Eine Gruppe von Bischöfen des zu Ende gehenden Konzils entschloss sich damals in einem - heute beinahe vergessenen - "Katakombenpakt für eine dienende und arme Kirche“ auf dreizehn Selbstverpflichtungen. Eine davon lautete so: "Wir verzichten ein für allemal darauf, als Reiche zu erscheinen wie auch wirklich reich zu sein, insbesondere in unserer Amtskleidung (teure Stoffe, auffallende Farben) und in unseren Amtsinsignien, die nicht aus kostbarem Metall - weder Gold noch Silber - gemacht sein dürfen, sondern wahrhaft und wirklich dem Evangelium entsprechen müssen.“ Es war der 16. November 1965.

Der Autor ist Akademiker- und Künstlerseelsorger in Linz

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