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Musik allein reicht nicht mehr: Sie muss "neu" sein und sich der Marketing-Gepflogenheit unserer Zeit anpassen. Ob diese Entwicklung den Musikern und ihrer Kunst förderlich ist, ist allerdings mehr als zweifelhaft.

Der britische Folkrocker Richard Thompson wurde zur Jahrtausendwende vom Playboymagazin um eine Liste der wichtigsten Songs des Millenniums gebeten. Der Musiker nahm die Aufgabe ernst und sammelte "Popsongs" vom 12. bis zum 20. Jahrhundert. Das älteste Stück war von 1260, das jüngste von Britney Spears aus dem Jahr 1999. Der Playboy aber war gar nicht "amused" und lehnte die Auswahl ab - älter als Elvis Presley war für sie nichts akzeptabel. Thompson blieb seiner Auswahl treu und nahm die Lieder neu auf. Resultat ist die sehr hörenswerte Platte "1000 years of popular music".

Die Reaktion von Playboy ist ein Sinnbild über die heutige Popmusik: "Neu" muss sie sein und sich der Marketing-Gepflogenheit unserer Zeit anpassen. Dieses Denken bestätigt leider auch Hannes Eder im Gespräch mit der APA. Eder ist Präsident des Verbandes Österreichischer Musikwirtschaft (IFPI) und Direktor von Universal-Music in Österreich. Er spricht von neuen kommerziellen Möglichkeiten für die Musik-Branche hin zur Entertainment-Industrie. Geld verdient werden soll in Zukunft mit bedruckten T-Shirts, Konzerten, Events, digitalen Downloads und Handy-Klingeltönen.

Es ist verständlich, dass Manager nach lukrativen Möglichkeiten suchen, die Umsatzeinbrüche der Musikindustrie zu kompensieren und Wege aus der Krise zu finden. Die Musikkonzerne zahlen jedoch heute den Preis für jene Sünden, welche vor Jahrzehnten ihren Anfang genommen haben. Es war immer schon eine Begleiterscheinung der Popmusik, sich primär auf das Geldverdienen zu konzentrieren. Gewinnmaximierung seitens der Plattenfirmen und Manager, die ihre "Schützlinge" ausbeuten, waren spätestens seit Elvis Presley Teil des Geschäfts. Das System begann sich in den 1970er Jahren noch stärker in Richtung Kommerzialisierung zu verschieben.

Härte gegen Bands, Musik, Platten

Plattenlabels entwickelten sich zu Konzernen und Musik wurde global vermarktet. Bands wie die Eagles, Led Zeppelin und die Rolling Stones spielten ihre Konzerte in Stadien und begannen, T-Shirts und Fanartikel in Massen zu verkaufen. Eine neue Industrie entwickelte sich. Konzerte, TV-Rechte, Merchandising. Es ging nicht mehr nur um die Band, um die Musik und die Platten - plötzlich waren es TV-Shows, Lizenzverkäufe und Kooperationen, die unweigerlich auf die Musik Einfluss nahmen. Manche Manager der Plattenfirmen agierten teilweise mit autoritärer Härte; sie dominierten sogar die musikalische Entwicklung der Künstler. Bands wurden mit bereits fertigen Aufnahmen wieder ins Studio zurückgeschickt, weil das vorgelegte "Produkt" als unverkäuflich galt.

Die Gegenbewegung ließ nicht lange auf sich warten. Die Revolution artikulierte sich vorerst als revolutionärer Punk, verglühte aber nach kurzem Erfolg. Selbst die "Sex Pistols" haben beim britischen Traditionslabel EMI unterschrieben, welches bis heute die Alben der Band vertreibt - die Revolution kam über Lippenbekenntnisse nicht hinaus. Heute ist übrigens "Punk" ein sehr lukratives Produkt. Die wirkliche Rebellion fand aber im amerikanischen Untergrund statt. Musikfans gründeten ihre eigenen Plattenlabels. Junge Bands veröffentlichten ihre Musik auf sogenannten Indie-Labels und setzten auf den Eigenvertrieb. Die Schallplatten wurden oft nur regional vertrieben und bei Konzerten verkauft. Winzige Plattenläden begannen wie Pilze zu sprießen und verkauften den selbstproduzierten Garagenrock der regionalen Bands. Eine der wichtigsten Bands der 1990er Jahre - Nirvana - war in diesem Genre entstanden und Teil dieser Subkultur gewesen. All dies ist nachzulesen in Michael Azerrads hervorragendem Buch "Our Band could be your life" .

So gesehen waren die 1980er Jahre eine goldene Zeit für die unabhängige Musik. Durch den Erfolg von Nirvana überrumpelt, begannen die großen Plattenfirmen die kleinen unabhängigen Labels aufzukaufen und würgten damit die Subkultur wieder ab. Zur Jahrtausendwende gab es kaum noch unabhängige Labels. Auch die kleinen Plattenläden verschwanden wieder - verdrängt von den großen Elektromarkt-Ketten, bedingt durch aggressives Preisdumping.

Fahrstuhlmusik zum Kaufen

Heute findet Musik überall statt, im Kaufhaus, im Fahrstuhl, in der U-Bahn. Man kann auch überall auf Musik zugreifen - Internet und Handy machen es möglich. Für eine Opernaufführung braucht niemand mehr in die Oper zu gehen. Tosca kann man sich bequem am Handy ansehen - vielleicht während eines langweiligen Businessmeetings? Das neue iPhone bietet zusätzlich den fantastischen Service, ein Lied, welches in irgendeinem Geschäft oder an sonst einem Ort gespielt wird, zu erkennen. Das Gerät wühlt sich dann durch die Online-Datenbanken und bietet sogleich die Möglichkeit, das soeben gehörte Lied zu kaufen. Ob diese Entwicklung für das Entdecken von Musik und Kunst förderlich ist, ist aber mehr als zweifelhaft.

So gesehen hat Hannes Eder leider Recht. Es geht um ein großes Marketingkonzept. Musik spielt eine untergeordnete Rolle. Bis jetzt haben die "großen" Bands den Einbruch der CD-Verkäufe durch höhere Ticketpreise kompensieren können. Eine Konzertkarte kostet heute das Vierfache wie vor 20 Jahren. Wie lange die geduldigen Fans noch bereit sind, 100,- Euro für 2 Stunden U2, Madonna oder AC/DC zu zahlen, ist abzuwarten. Vielleicht wird ja auch diese Blase in den nächsten Jahren platzen.

Und dann könnte das Bedürfnis wieder entstehen, einfach nur Musik zu hören. Nur zuzuhören - ohne Merchandising, Getränkewerbungen und Marketingstrategien. Dann wird sich vielleicht wieder der Stellenwert von Musik und Musikern heben.

* Der Autor ist Publizist und Berater im Bereich Musik und Film

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