Tour de Force mit Scheinidentität

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Dass das Leben selbst die dramatischsten Drehbücher schreibt, beweist die Bestseller-Verfilmung "Lauf Junge lauf": Yoram Fridman war fünf Jahre alt, als die Deutschen Polen besetzten und der Zweite Weltkrieg begann. Als 9-Jähriger gelang ihm 1942 die Flucht aus dem Warschauer Ghetto. Was folgte, war eine abenteuerliche Odyssee durch die polnische Wildnis, bei der er allein auf sich gestellt in einem unwegsamen Waldgebiet den Krieg überlebte.

Der heute 80-Jährige ist einer der letzten Zeitzeugen, der die Verbrechen des Nationalsozialismus am eigenen Leib erfahren und mit Pepe Danquart einen Regisseur und Produzenten gefunden hat, der seine berührende Lebensgeschichte leinwandtauglich umsetzt. Von der ersten Minute an findet der deutsche Oscar-Preisträger ("Joschka und Herr Fischer") die richtige Tonlage, um die zentrale Frage in Fridmans Biografie herauszufiltern: Kann man sein Ich aufgeben, ohne seine Identität zu verlieren? Im Erzählstil eines Abenteuerromans schildert Danquart die Verwandlung eines kleinen Jungen, der quasi über Nacht zum Mann wird und schmerzhaft lernen muss, zwischen Freund, Feind und Verräter zu unterscheiden. Magda, deren Mann und Söhne sich dem Kampf der Partisanen angeschlossen haben, zählt zu ersteren und nimmt den jüdischen Ghetto-Flüchtling bei sich auf. Die gläubige Bäuerin ist es auch, die dem von den polnischen Zwillingsbrüdern Andrzej und Kamil Tkacz verkörperten Protagonisten, die wohl wichtigste Lektion auf seiner Flucht beibringt: seine jüdische Herkunft und Identität zu verbergen.

Hommage an namenlose Helfer

Aber auch als "katholischer Kriegswaise", der mit einem Rosenkranz in der Hand und einem "Gelobt sei Jesus Christus" auf den Lippen von Hof zu Hof zieht und für eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf Hilfsarbeiten verrichtet, bleibt Jurek, wie er sich ab diesem Zeitpunkt nennt, nicht vor Verrat und menschlichen Enttäuschungen verschont. Geschickt verknüpft Danquart die in Tom- Sawyer-Manier inszenierte Tour de Force mit der inneren Zerrissenheit seiner Hauptfigur: Je länger Jureks Überlebenskampf dauert, desto stärker verschmilzt er mit seiner Scheinidentität, während die in Rückblenden erzählten Erinnerungsfetzen an seine wahre Herkunft verblassen.

Im Gegensatz zu anderen Holocaust-Dramen ist "Lauf Junge lauf" weniger eine Heldengeschichte als vielmehr eine Hommage an die namenlosen Helfer, die unter Einsatz ihres Lebens verfolgte Menschen vor den NS-Schergen versteckt und so gerettet haben. Dass ihr Mut bis heute Früchte trägt, zeigt Jureks Schicksal: Fridman lebt als glücklicher Großvater von sechs Enkelkindern mit seiner Familie in Israel.

Lauf Junge lauf

D/PL 2013. Regie: Pepe Danquart. Mit Andrzej Tkacz, Kamil Tkacz, Elisabeth Duda. Filmladen. 108 Min.

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