Trachten und Petticoats

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Webers "Freischütz" an der Volksoper: Die erste deutsche Nationaloper hat einen wienerischen Einschlag und setzt das Böse glaubhaft in Szene.

Im Waldboden hat sich eine riesige Falltür aufgetan. Sie führt in einen kahlen Raum, dem die Wärme und Behaglichkeit der Oberwelt völlig fehlen. Und hier unten spielt sich Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz ab. Dieses Versprechen einer tiefenpsychologischen Deutung löst das formal bestechende Bühnenbild an der Wiener Volksoper allerdings nicht ein. Dennoch ist Regisseur Marco Arturo Marelli eine stringente Inszenierung gelungen, die über weite Strecken im besten Sinne konventionell ist, das Böse sehr glaubhaft in Szene setzt und mit einem starken Schlussbild das Happy End zurechtrückt. Entsprechend groß war der Zuspruch des Publikums bei der Premiere.

Mit Trachtenanzügen und Petticoats bedient sich die Aufführung der Heimatfilm-Ästhetik, ohne freilich ins Operettenhafte abzugleiten - mit Ausnahme des quietschvergnügten Ännchens, das Andrea Bogner gefällig im Stil einer waschechten Soubrette gibt. Der unglückliche Max (Jürgen Müller) ist optisch ganz der Förster vom Silberwald, stimmlich jedoch eher ein Jägersbursch. Kristiane Kaiser bringt als Fünfziger-Jahre-Backfisch Agathe ihre große Arie mit der nötigen Innigkeit herüber. Den gesanglich wie darstellerisch bleibendsten Eindruck hinterlässt Lars Woldt in der Rolle des sinistren Kaspar. Aber auch Daniel Schmutzhard in der kleinen Partie des Kilian begeisterte die Zuseher.

In allen möglichen Verkleidungen mischen sich Samiel (Ronald Kuste) und sein "wildes Heer" unter die Leute. Unmaskiert aber sind sie mit ihren schwarzen Lederuniformen, Reiterhosen und Glatzen leicht als die Geister des Faschismus zu erkennen - die Verkörperung des Bösen schlechthin. In der Wolfsschluchtszene, wenn Max und Kaspar die Freikugeln gießen, haben sie als Wehrmachtssoldaten mit Gasmasken ihren unheimlichsten Auftritt.

Hier hat auch das Volksopernorchester unter Leopold Hager seine stärksten Momente. Mit ungemeiner Intensität erschafft es eine dichte, spannungsgeladene musikalische Atmosphäre, die sich in unter die Haut gehenden Klangblitzen entlädt. Da verzeiht man gerne die an anderer Stelle mitunter wenig weidmännischen Ausritte der Hörner. Einen kleinen, gelungenen Spaß konnte sich der musikalische Leiter nicht verkneifen: Picksüße Geigenklänge, die jeder Heurigenmusik Ehre machen würden, bringen augenzwinkernd eine Wiener Note - ausgerechnet - in die erste deutsche Nationaloper ein. Nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch wird also der Ernst des Freischütz durch kleine Scherze aufgelockert.

Wenn am Ende alle "der Milde des Vaters vertrauen", dann zieht sich das Gute in Gestalt des Eremiten (Albert Pesendorfer) diskret zurück und überlässt das Feld Samiel und seinen Truppen, die hinter den im Schlusschor schwelgenden Protagonisten Aufstellung nehmen. Fazit: Eine sehr gute Aufführung, die der Volksoper und ihrem Publikum noch lange Freude machen wird.

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