Tragödien der Welt und IN DER FAMILIE

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Im packenden Film-Drama "Louder Than Bombs" spürt der norwegische Regisseur Joachim Trier den Verwerfungen einer Familie nach, die nach dem Tod der Mutter mehr oder weniger zutage treten.

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Im packenden Film-Drama "Louder Than Bombs" spürt der norwegische Regisseur Joachim Trier den Verwerfungen einer Familie nach, die nach dem Tod der Mutter mehr oder weniger zutage treten.

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Mit seinem Debüt "Auf Anfang" ging der norwegische Regisseur Joachim Trier dem Leben und dem Leiden eines jungen Schriftstellerpaares nach. Es folgte das Suizid-Drama "Oslo, 31. August", mit dem er ebenfalls international reüssierte, und sein Film "Louder Than Bombs", der im vergangenen Jahr im Cannes-Wettbewerb um die Goldene Palme lief, ist Triers erste englischsprachige Produktion. Ein Familiendrama, das sich um die Verarbeitung des Todes der ehemaligen Kriegsfotografin Isabelle dreht, mit der ihre beiden Söhne Jonah und Conrad ebenso zu kämpfen haben wie ihr Ehemann Gene, vor allem, weil sich ein streng gehütetes Geheimnis in die Gegenwart schiebt, welches das fragile Familiengefüge noch zusätzlich auf die Probe stellt.

DIE FURCHE: Ihr Film arbeitet viel mit Flashbacks und -forwards und starken Verschachtelungen. Stand eine lineare Struktur der Entwicklung des Dramas entgegen?

Joachim Trier: Vielleicht nicht unbedingt, aber ich fühle mich freier so. Wenn möglich, wähle ich immer eine freiere Form des Erzählens, also eine, die keiner linearen Struktur folgt. Das liegt sicher auch stark an der langjährigen Zusammenarbeit mit Eskil Vogt, mit dem ich meine Drehbücher schreibe. Wir verbringen oft ein Jahr nur damit, lose über Ideen zu sprechen, bevor wir uns wirklich vorstellen können, etwas davon umzusetzen. Für diesen Film hatten wir zum Beispiel irgendwann den Gedanken, jemand könnte eine Stimme hören, aber diese Stimme würde zu den Gedanken einer anderen Person. Das klingt bescheuert, aber irgendwann nahm es Form an.

DIE FURCHE: So bewegen wir uns hier oft von einer Außenperspektive in die gedankliche und emotionale Innenansicht einer der Figuren.

Trier: Das Wechselspiel zwischen einer eher objektiven Sicht der Dinge und einer subjektiven Wahrnehmung interessiert mich grundsätzlich sehr. Ich verwende hier oft direkte Bewusstseinsstrom-Sequenzen. In denen ist nicht klar, wer die Montage eigentlich sieht - ist es die Figur selbst oder das, was sie uns erzählt. Das wird zu einer geteilten Subjektivität. Wie kann man das Denken im Kino zeigen, das sind Fragen, die mich interessieren.

DIE FURCHE: In "Oslo" konnten Sie das in einer Figur verankern, hier ist Ihr Spektrum weiter gefasst.

Trier: Vielleicht ist "Louder Than Bombs" tatsächlich ein Ergänzungswerk zu "Oslo", hier eben aus der Perspektive der Familie. Einsamkeit, Depression, die Unfähigkeit zu einer Kommunikation mit der Außenwelt, das sind Themen, die uns umtreiben, und oft hilft es, aus verschiedenen Blickwinkeln darauf zu blicken, um nicht nur einander, sondern auch sich selbst besser zu verstehen.

DIE FURCHE: Der Titel des Films stellt poetische Fragen: Was ist lauter als Bomben? Ist es die Stille zwischen Menschen? Ist es das unverarbeitete Trauma, das viele Kriegsheimkehrer empfinden?

Trier: Und nicht zuletzt ist es auch der Titel des ersten amerikanischen Albums der Band "The Smiths" - aber daran haben wir nicht gedacht.

DIE FURCHE: Dabei haben Sie ja auch musikalischen Hintergrund!

Trier: Mein Vater war Jazzmusiker, und ich bin mit Hip-Hop und Punk aufgewachsen. Die mosaikartige Struktur dieser Einflüsse wollte ich schon für den Film verwenden. Der Titel an sich hat sich aber erst allmählich gefunden. Für mich hallen darin Fragen wider, die sich mit Identitäten beschäftigen, umso mehr unter dem Aspekt des Umgangs mit Trauer und Erinnerungsverarbeitung: Wie formen Erinnerungen einen Menschen noch im Nachhinein, welchen Einfluss haben Familienmitglieder darauf? In einer Familie steht man einander nahe, kann sich aber dennoch oft nicht miteinander verbinden. Der Titel bezieht sich also auch auf die Unvergleichbarkeit zwischen den großen Tragödien der Welt und jenen in einer Familie. In dem Sinne, dass der Film auch über die Verhältnisse von Größe und Relevanz spricht. Die Idealisierung von Personen, die Desillusionierung oder Dekonstruktion von Idolen, von Vorstellungen, Verklärungen und was noch übrig bleibt, wenn alles freigelegt ist.

Das Gespräch führte Alexandra Zawia

KRITIK ZU "LOUDER THAN BOMBS"

Befreiung von der toten (Über-)Mutter

Joachim Triers "Louder Than Bombs" ist ein wesentlicher Film. Das liegt auch (aber nicht nur) an den Darstellern -Isabelle Huppert als Kriegsfotografin Isabelle Reed, noch mehr Gabriel Byrne als ihr Mann Gene und Jesse Eisenberg als ihr älterer Sohn Jonah, aber vor allem Devin Druid als 15-jähriger Conrad. Druid, selber gerade 16 Jahre alt, gelingt bis in die letzte Nuance ein authentisches Spiel. - Kriegsfotografin Reed hat sich nach Aufträgen in aller Welt bei ihrer Familie zur Ruhe gesetzt, Ehemann Gene werkt als Lehrer und zieht die beiden Söhne groß. Deren einer, Jonah, ist schon Professor an einer Uni, verheiratet und soeben Vater geworden. Conrad hingegen bleibt verschlossen und für den Vater ein computerspielender Alptraum, der die emotionalen Berg- und Talfahrten des Filius auf die Nichtaufarbeitung des Todes seiner Mutter zurückführt: Denn Isabelle ist kurz nach ihrer Rückkehr mit ihrem Auto tödlich verunglückt. Aber Conrad ist nicht nur ein armes Psycherl, ebenso wie sich Gene keineswegs bloß als der edle Vater entpuppt, auch Jonah ist längst nicht gesettelt. Über dieser untrauten Restfamilie schwebt die tote Mutter, von der sich die drei Zurückgebliebenen befreien müssen. "Louder Than Bombs" erzählt meisterlich, wie sie das anstellen. (Otto Friedrich)

Louder Than Bombs

DK/F/N/USA 2015. Regie: Joachim Trier. Mit Isabelle Huppert, Richard Byrne. Stadtkino. 108 Min.

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