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Wie aus dem Miteinander zweier Eheleute ein Nebeneinander wird. Der Regisseur als Erzähler.

Die Familie ist ein Schlachtfeld. Die vorgestellten perfekten persönlichen Beziehungslösungen entpuppen sich oft als Illusion. Oberflächlich gesehen ist davon oft nicht viel bis gar nichts zu merken. Damit es bewusst wird, bedarf es des entsprechenden Betrachters und Koordinators. Der Regisseur Hans Neuenfels, der bis 1990 Intendant der Freien Volksbühne Berlin war, schlüpft in der Erzählung "Neapel oder die Reise nach Stuttgart" in diese Rolle. Er berichtet von der Fremdheit zwischen Mann und Frau und von der Auflösung des Miteinanders in ein Nebeneinander.

Er wählte eine schwierige Perspektive: Er lässt die Ehefrau Katharina an ihre Freundin Charlotte schreiben, von der sie annimmt, dass es ihr besser geht und sie es besser getroffen hat. Eine Reise zeigt nach mehr als 20 Jahren die Entfremdung zwischen ihr und Herbert, ihrem Mann, einem Versicherungskaufmann. Die Beziehung ist ranzig geworden, "etwas, das über das Genießbare hinausgeht". Erotik und Sexualität sind verschwunden, Katharina nimmt den Arm ihres Mannes wie eine Schwester, schlimmer noch, wie eine Krankenschwester. In knappen Sätzen, in Blicken und gefrorenen Gesten und Halbsätzen erleben wir das Scheitern, sie ist eine verzweifelte Frau: "Fünfundzwanzig Jahre habe ich die Jalousien vor dem unveränderlichen Panoramaausschnitt hoch- und niedergezogen, die Schaufensterscheibe geputzt, hinter der wir Zuschauer und Akteure zugleich waren. Wir haben nie in der Mitte gelebt."

Die Küche ist die Konzentrationszelle. Das Kochen für die beiden Söhne wird zum einzigen Fixpunkt des Tages. Nur in ihren Briefen traut sie sich über ihren Mann zu urteilen, der unverletzbar scheint in seiner Engstirnigkeit, Eitelkeit und Selbstzufriedenheit. Es hätte nicht des Geständnisses der Söhne bedurft, die den Eltern eröffnen, dass sie homosexuell sind. Ihre Welt wäre auch so zusammengebrochen, früher oder später. Neuenfels' Beitrag zur Heilung geht über die Heilung von der Illusion einer heilen Welt hinaus, er formuliert auch vorsichtige Lösungsansätze in seinem Plädoyer für eine gelegentliche Distanz in Beziehungen: "Nicht, dass wir beständig einer Meinung hätten sein sollen, doch hätte etwas anderes uns umgeben müssen, das uns das Eigene erlaubt hätte, ohne uns zu vereinzeln, etwas wie eine Aura der Ausschließlichkeit, etwas Singuläres, das sichtbar nur uns gehörte, nur uns ausmachte."

Manchmal fehlt bei diesem Autor jedoch der letzte Schnitt tief in den Schmerz. Ein beherzter Chirurg würde den Tumor freilegen, doch hier schnipselt er herum und dabei geht es ihm wie seiner Katharina: "Manchmal spreizt sich meine Sprache, Charlotte, wie ein Pfau, zu selten ist sie direkt." Der Kunstgriff, das Zusammenleben aus der Sicht der Frau zu analysieren und versteckt, aber doch auch Verständnis für die männliche Seite aufzubringen, macht das Buch dennoch zu einem spannenden Unterfangen.

Neapel oder die Reise nach Stuttgart

Erzählung von Hans Neuenfels

Jung und Jung Verlag, Salzburg 2001

96 Seiten, geb., e 13,80

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