TRENNLINIEN DEKONSTRUIERT

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Alte Abbildungen zeigen es: Das Problem schreibender Frauen im 19. Jahrhundert begann bei der Kleidung. Denn die steif-gebauschten Röcke passten nicht unter die Tischplatte, und so mussten die Autorinnen eigentlich neben dem Tisch sitzen und in gekrümmter Haltung arbeiten. Doch abgesehen "von diesen lebenspraktischen Sonderproblemen hatten Autorinnen vor allem mit strukturellen Widerständen zu kämpfen", schreibt Evelyne Polt-Heinzl in ihrem grandiosen Buch "Ringstraßenzeit und Wiener Moderne. Porträt einer literarischen Epoche des Übergangs"(soeben im Sonderzahl Verlag erschienen).

Rollen-Zuschreibungen

In der Wahrnehmung der Literaturgeschichtsschreibung bilden "die beiden Knotenpunkte Ringstraßenzeit und Wiener Moderne eine klare Trennlinie zwischen den Generationen, die in dieser Radikalität vielleicht zu hinterfragen ist", schreibt Evelyne Polt-Heinzl. Sie ist bereits durch andere Revisionen hervorgetreten ("Österreichische Literatur zwischen den Kriegen. Plädoyer für eine Kanonrevision", 2012) und versucht im Folgenden eine "probeweise Dekonstruktion literarhistorischer Markierungen".

Auch wer nicht soviel Literaturgeschichtswissen mitbringt, um die Feinheiten dieser Dekonstruktion und ihre Bedeutung für den Wissenschaftsdiskurs zu erahnen, wird seine/ihre Freude haben an diesem Buch, so viel auch bisher Unbekanntes taucht darin auf. Im Zentrum der Aufmerksamkeit immer wieder: Marie von Ebner-Eschenbach (die empfehlenswerte neue Leseausgabe ist nun mit Band 4 im Residenz Verlag vollständig erschienen).

Der Blick in diese literarische Epoche des Übergangs zeigt: Wenn Autorinnen die ihnen zugewiesenen Rollen und Definitionen verlassen, kommt's zu Problemen. Dann heißt's zum Beispiel über sie, sie hätten einen "männlichen Ton". Anzeichen für eine Störung.

Informativ, querfeldein und erfrischend aktuell werden die Themen von Evelyne Polt-Heinzl behandelt, etwa jenes der weiblichen Autorschaft. "Fräuleinwunder gibt es immer dann, wenn sich die Rollenbilder verschieben. Die Formulierung kann zeittypisch variieren, der Effekt ist immer der gleiche: Er sexualisiert den Blick und verengt den inhaltlichen Spielraum der Autorinnen. Denn Rollen-Zuschreibungen haben immer auch inhaltliche Komponenten und betreffen Autorinnen nicht nur in ihrer 'Posture', sondern auch in ihrer Arbeit oder doch in deren Wahrnehmung." Mit einem solchen Zitat sind wir mitten im Heute.

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