Tripolis ist nicht Bagdad

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Der österreichische Handelsdelegierte in Libyen, David Bachmann, über die arabische Revolte, das Leben in permanenter Gefahr und die Aussichten für die Demokratie in Gadaffis Land.

David Bachmann ist seit fünf Jahren Handelsdelegierter in Libyen. Er war während der Revolution einer der wenigen Ausländer, die im Land verblieben und ist seither Zeuge der radikalen Veränderungen im Land. Die FURCHE traf ihn während eines Kurzaufenthalts in Wien.

Die Furche: Sie sind seit fünf Jahren in Tripolis und haben dort auch die Revolution miterlebt. Seit Kurzem gibt es eine neue Regierung in Libyen. Wenn Sie das Leben vor der Revolution und jetzt vergleichen - wie hat es sich verändert?

David Bachmann: Für mich persönlich haben sich die Lebensumstände verschlechtert, für die Libyer haben sie sich durchwegs verbessert. Mit Verschlechterung meine ich die Sicherheitslage und das soziale Umfeld. Es gibt derzeit wesentlich weniger Ausländer in Libyen. Für die Lokalbevölkerung hat sich die Wirtschaftslage aber gebessert. Die Löhne wurden um 50 Prozent angehoben. Die Menschen leben nicht mehr in Angst. Sie entwickeln Selbstbewusstsein und Ideen. Viele versuchen sich jetzt als Unternehmer.

Die Furche: Sie sagten, die Angst sei gesunken. Die Medien hingegen berichten von einer sehr unsicheren Lage. Das Parlament wurde gestürmt, der US-Botschafter in einem Attentat getötet, es gibt ständige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen. Wie gehen Sie damit um?

Bachmann: Die Sicherheitslage ist natürlich bei Weitem schlechter als bei uns. Es ist jetzt aber nicht so, dass man Angst hat, auf die Straße zu gehen. Man hält sich an gewisse Sicherheitsstandards. Man wechselt öfter die Fahrtrouten ins Büro. Man ist nie alleine unterwegs. Es hilft schon enorm, einfach nur zu zweit zu sein. Aber das ist eben kein Szenario wie in Bagdad, Mogadischu oder Kabul.

Die Furche: Der Rest ist Gewohnheit?

Bachmann: Für einen Libyer, der die vergangenen zwei Jahren mitgemacht hat, ist es jedenfalls normal. Vor drei Wochen gab es in der Stadt plötzlich Gefechte mit Maschinengewehrsalven und Panzergranaten. Zwei Gassen weiter saßen die Leute im Kaffeehaus und schlürften ihren Cappuccino. Die Leute sagen dann, ach da ist wieder eine Hochzeit.

Die Furche: Und wie gehen Sie selbst mit solchen Vorfällen um?

Bachmann: Also man spielt das selbst gerne runter, weil man es sonst nicht aushalten würde, beziehungsweise auch gar nicht dort sein dürfte. So ist es oft in scheinbar unmöglichen Situationen. Wenn man mitten drin ist, ist es eigentlich viel erträglicher, als von außen betrachtet. Also sage ich: Untertags ist es relativ sicher.

Die Furche: Und nachts?

Bachmann: Da gibt es Schüsse, Carjacking und Entführungen. Teilweise werden die Vorfälle aber auch größer gemacht, als sie sind, durch Gerüchte.

Die Furche: Sie selbst wurden auch einmal von Bewaffneten bedroht und für kurze Zeit festgehalten.

Bachmann: Das ist genau so ein Fall. Das ganze war eine Angelegenheit von wenigen Stunden. Aber in einem Bericht, der dann verbreitet wurde, stand, ich sei entführt, geschlagen und drei Tage lang gefoltert worden. Da sieht man, was passiert, wenn Gerüchte zu Informationsquellen werden.

Die Furche: Weil Sie gerade von Folter sprechen: Amnesty berichtet von massiven Übergriffen gegen Schwarzafrikaner in Libyen.

Bachmann: Menschen mit dunkler Hautfarbe haben es derzeit wirklich sehr schwer. Das hängt mit dem Bürgerkrieg zusammen. Gaddafis Armee bestand zu großen Teilen aus dunkelhäutigen Libyern oder Söldnern. Die Brutalität, mit der damals gekämpft wurde, wirkt nach. Jetzt kommt es zu massivem Mobbing gegen alle Dunkelhäutigen.

Die Furche: Dieser Vorwurf richtet sich vor allem gegen die Milizen in Libyen, die miteinander rivalisieren und auf die auch ein Teil der häufigen Schießereien zurückzuführen ist. Wann werden sie entwaffnet?

Bachmann: Das ist natürlich ein mühsamer Prozess. Wie soll man aus diesen Männern, die über Monate in den wildesten und grausamsten Gefechten standen, wieder sozusagen einfache Angestellte machen? Zumindest in der Armee gibt es starke Verbesserungen. Die neuen Streitkräfte setzen sich ja auch aus ehemaligen Milizionären zusammen und da scheint die Integration zu gelingen. Es gibt eine starke Durchmischung der Einheiten, sodass die Soldaten aus den verschiedensten Regionen kommen. Das bricht die Milizstrukturen auf. Zumindest in den großen Städten Tripolis und Misrata hat das die Lage stark verbessert.

Die Furche: Und auf dem Land?

Bachmann: Ich weiß nicht, ob sich die neue Ordnung in alle Regionen durchgesprochen hat. Aber zumindest entlang der Hauptverkehrswege gibt es Verbesserungen. Früher gab es zwischen der tunesischen Grenze und Tripolis etwa 30 Checkpoints von Milizen. Das waren mehr oder weniger Wegelagerer, die die Reisenden ausgenommen haben. Heute gibt es das kaum noch.

Die Furche: Die Regierung Libyens besteht aus dreißig Ministern und ist seit zehn Tagen angelobt. Dabei haben acht Minister den Amtseid verweigert. Das scheinen keine guten Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Demokratie zu sein.

Bachmann: Das sehe ich nicht so negativ. Libyen ist in einer ganz anderen Lage als alle anderen Revolutionsländer, in denen die Islamisten an die Macht gekommen sind. Die aktuelle Regierung besteht jedenfalls aus Liberalen und Islamisten. Ein Großteil der Minister ist proeuropäisch. Die deklarierten Islamisten sind nur ein kleiner Prozentsatz verglichen mit Ägypten und Tunesien. Auch jene Muslimbruder-Gruppen, vor denen man vor den Wahlen so große Angst hatte, weil sie von Katar finanziell massiv unterstützt wurden, haben es nicht einmal ins Parlament geschafft.

Die Furche: Aber warum haben es die Islamisten in Libyen um so viel schwerer, Anhänger zu finden?

Bachmann: Hier funktioniert das Geschäftsmodell der Islamisten einfach nicht, wenn sie behaupten: Kommt zu uns, ihr seid alle benachteiligt und ausgebeutet und in ein armes Land geboren, wir helfen euch da raus. Dazu ist Libyen zu reich. Es gibt hier niemanden, der hungern muss, weil er kein Geld hat. Ich bin sicher, dass die Libyer sich eher Italien und Europa verbunden fühlen als Afrika. Das in Betracht ziehend, ist es eigentlich unmöglich, dass die Muslimbrüder die Mehrheit bekommen. Da müsste schon von heute auf morgen das Öl versiegen.

Die Furche: Das Erdöl als Demokratiebewahrer also?

Bachmann: Die Libyer stehen vor einer wichtigen Entscheidung: Welches Gesellschaftsmodell wollen wir? Das Modell Golfstaaten würde bedeuten: Wir lassen andere für uns arbeiten, lehnen uns zurück und lassen uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Zweite Möglichkeit: Wir bauen Libyen neu auf, als Land der Libyer.

Die Furche: Weil wir gerade beim Öl waren. Besteht der Unterschied zwischen Libyen und Syrien im Haben oder Nichthaben von Öl? Hat nicht der Ölreichtum über das militärische Eingreifen der internationalen Gemeinschaft entschieden?

Bachmann: Wenn es wirklich nur um Öl ginge, das hätte man auch unter Gaddafi gehabt. Ich glaube, die Lage in Libyen war politisch überschaubarer. Zunächst gab es nur zwei Lager - die Opposition und den Diktator. In Syrien gibt es dagegen fünf Oppositionsgruppen, die einander spinnefeind sind und dazu noch mehrere Religionsgemeinschaften. Man muss auch sagen: Gaddafis hatte es international auch politisch übertrieben mit seinen ständigen Provokationen. Drittens: Ich glaube, dass Libyen für Europa eine ganz andere geopolitische Bedeutung hat als Syrien. Es liegt näher und die wirtschaftlichen Interessen sind sicher stärker. So gesehen, kann man tatsächlich sagen: Libyen ist ein einfacheres Land.

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