Trittbrett Literatur?

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Es spricht sich herum: Auch Theologen kann es nicht schaden, sich mit Literatur zu beschäftigen. Im Gegenteil. Manche stellen dabei aber die Nützlichkeit über alles andere. Eine Polemik, aber auch ein Plädoyer

Christus im Spiegel der Dichtung", "Gedichte zur Bibel", "Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" - Bücher wie diese sind Ergebnisse theologischer Bemühungen der letzten Jahrzehnte, Spuren der Bibel und des Christentums in der traditionellen und der zeitgenössischen Literatur aufzuspüren. Bertolt Brecht konnte nicht ahnen, dass er zu einem der von Theologen meistzitierten Literaten werden würde. Seine berühmte Antwort auf die Frage nach seinem stärksten literarischen Eindruck - "Sie werden lachen, die Bibel" - ist heute im Munde jener Theologen und Theologinnen, die die Tradition ihres Faches und der Kirche nicht vergessen haben und nach wie vor von der Bedeutung der Literatur überzeugt sind.

Begründungen für einen Dialog zwischen Theologie und Literatur wurden von wissenschaftlicher Seite in den letzten Jahrzehnten mehr als genug zusammengetragen. Es wurde historisch argumentiert mit der engen geschichtlichen Verflochtenheit (wo wurden denn Bücher geschrieben, wo standen die großen Bibliotheken), formal in Blick auf Sprache und Ästhetik oder inhaltlich mit dem Verweis auf die Erfahrungen, die Literatur übermittelt, und die Möglichkeiten, die sie vielleicht aufzeigt... Angesichts des überzeugenden Beweismaterials kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass es womöglich noch Theologen gibt, die den ungeheuren Reichtum, den literarische Lektüren mit sich bringen, ignorieren.

Die vielfältigen Spurensuchen, die in den letzten Jahren unternommen wurden, förderten viel Spannendes zutage. Nach biblischen Motiven, Themen und Figuren, nach existenziellen Fragen wie Tod, Liebe, Schuld, Vergebung wurde etwa gefragt - wie werden sie in Literatur in Sprache gebracht? Spannend sind unter den Fundstücken, die aus den Exkursionen in die Welt der Literatur mitgebracht wurden, auch jene, die die Bibel als formalen Anstoß, als Inspiration für literarische Formen zeigen. Bestens dargestellt wurden die bisherigen diesbezüglichen Forschungsergebnisse in dem Standardwerk "Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts" von Heinrich Schmidinger.

Seismografisch?

Auffällig häufig sprechen Theologen von der seismografischen Funktion der Literatur. Weil Literatur besser wahrnehme, so die Meinung, was in der Welt vorgehe, sei der Blick hinter ihre Kulissen nützlich. Theologen, die Literatur aber nur als Spiegel sehen, als Darstellung der Wirklichkeit, als Lieferantin (religions)soziologischer Befunde, vergessen, dass Literatur deshalb wahr ist, weil sie erfunden ist, das literarische Paradox also, ohne das Literatur keine Literatur ist. Der Verdacht, dass viele Theologen die Fiktionalität nicht immer ernst nehmen, verhärtet sich, wenn in Analysen die literarischen Texte allzu bald verlassen und mit biografischen Details aus den Leben der Autoren jene Leerstellen gestopft werden, aus denen anspruchsvolle literarische Texte bestehen. Ein Roman etwa ist - wenngleich er sehr wohl helfen kann, die eigene Welt zu verstehen - nicht einfach die Wiedergabe einer Wirklichkeit, auch nicht unbedingt autobiografisch. Und meist kein didaktisches Lehrstück.

Dabei wäre es so praktisch: Literarische Texte könnten ja so gut als Sprungbrett für Diskussionen von Lebensfragen dienen - und darüber hinaus für Auseinandersetzungen mit dem eigenen Glauben. Gedichte und kurze Texte werden daher gesammelt nach ihrer didaktischen Verwertbarkeit, Anthologien mit zu religiösen Themen oder biblischen Episoden passenden Textausschnitten ersparen den pädagogischen Anwendern das mühsame Lesen ganzer Romane, leider damit aber auch oft den Kontext, aus dem heraus die Texte zu verstehen sind. Die Auswahl für solche Literaturanthologien mit religionspädagogischem Hintergedanken ist meist rein themenspezifisch begründet, ästhetische Kriterien spielen keine Rolle, oft im Widerspruch zu dem im Vorwort genannten eigenen Anspruch des Herausgebers.

So manches Mal bedrängen theologische Interessen und daraus resultierende Interpretationen literarische Texte. Franz Kafka konnte sich gegen die Auslegungen, die seine Texte religionsunterrichtsgemäß machen, nicht mehr wehren, Friedrich Dürrenmatt konnte es noch und hat es auch getan. In seiner Erzählung "Der Tunnel", die von einer Zugfahrt in einen Tunnel handelt, der nicht mehr aufhört, strich er 26 Jahre nach seiner ersten Erscheinung 1952 sogar die letzten beiden Sätze - "Gott ließ uns fallen. Und so stürzen wir denn auf ihn zu." -, weil die beunruhigende Botschaft des Textes von den Theologen als beruhigend, letztlich als hoffnungsvoller Schluss gelesen wurde. Das neue letzte Wort "Nichts." ließ hingegen alle Fragen offen und entriss den Theologen den Boden.

Mit diesem krassen Fall soll pointiert die Problematik sichtbar werden, die entsteht, wenn sich Theologen der Literatur mit ausschließlich didaktischen oder pastoralen Interessen nähern und ihnen das Gefühl für die Besonderheiten der Literatur fehlt. Das ist aber in den meisten Fällen natürlich nicht der Fall, immer mehr Theologen, die in diesem interdisziplinären Bereich arbeiten, sind selbst auch Literaturwissenschaftler.

Steinbruch?

Viele Theologen sind sich auch des Problems sehr wohl bewusst. Sie wollen die Literatur nicht verzwecken und werden nicht müde zu betonen, dass man Literatur nicht als Steinbruch verwenden soll. Wenn aber etwa in einer Gedichtanthologie für Religionspädagogen von "Gewinnchancen in der Beschäftigung mit literarischen Texten" gesprochen wird, dann ist das schon sehr verräterisch. Vermutlich ist der theologische Kompass ja doch gerne in eine bestimmte Richtung gerichtet, vom Wunsch geleitet, dass ohnehin noch nichts verloren ist, dass auch heute noch mit Transzendenz zu rechnen ist und dass Schriftsteller mit ihrer seismografischen Fähigkeit diese vielleicht aufspüren und vor allem ins Wort bringen können.

Warum schreiben Theologen eigentlich den Schriftstellern derartige fast schon prophetische Fähigkeiten zu? Weil man sie im eigenen Hause längst verlernt hat? Weil beides fehlt: das Aufspüren, das Sensorium fürs Heute, für Probleme und die wirklich wichtigen Fragen - und die Fähigkeit, die Inhalte, die Botschaften, die Fragen ins geeignete Wort zu bringen, eine Sprache zu finden, die verstanden wird, ohne dass sie deswegen verflachen muss, ohne zur marktschreierischen Reklame zu werden, eine Sprache, die in Poesie erahnbar werden lässt, was vielleicht nur so erahnbar gemacht werden kann, behutsam, zärtlich, poetisch eben?

Freilich, um das zu lernen, ist wirklich ein offenes Interesse an Literatur wichtig. Auch ohne dass man den Schriftstellern prophetische Gaben zuschreiben, sie in den Dienst theologischer Interessen nehmen muss. Und insofern kann man hoffen, dass - auch wenn der wissenschaftliche Dialog zwischen Literatur und Theologie einigen wenigen vorbehalten ist, die dann Anthologien herausgeben oder auch nicht - immer mehr Theologen leidenschaftliche Leser und Literaturfreunde werden.

Die Autorin leitete beim Forschungskongress "Theologie und Literatur" von 3.-5. 10. 2004 in Würzburg einen Workshop zum Thema "Religion im Werk deutschsprachiger AutorInnen". Ihr Buch "Erlebte Welt - erschriebene Welten. Theologie im Gespräch mit österreichischer erzählender Literatur der Gegenwart" ist 1997 im Tyrolia Verlag erschienen.

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