Trittsicher in philosophische Höhen

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Das Leben ist eine Wanderung, aber ist das Ziel der Tod? Jürg Amann bedient sich in seinen Prosastücken der Metapher des Weges, das Ende der Wanderung steht zwar fest (siehe oben), doch es kommt immer auf die Sicht der Dinge an. Programmatisch die Titelgeschichte des Bändchens "Schöne Aussicht": "Wir hatten den Gipfel immer im Auge. Von Anfang an. Auch dann, wenn wir ihn gar nicht sahen. Wir freuten uns auf die Aussicht. Sie war der Grund und der Motor unseres Gehens. Für sie nahmen wir alle Mühen des Aufstiegs in Kauf. Wir das sind wir. Wir alle zusammen, die wir dabeiwaren." Was folgt, kennt der Wanderer: schlechtes Wetter, rutschiger Boden, die Frage der Umkehr reift. Auch die Zwischenetappe scheint verlockend, wer die Hütte empfohlen hatte, wußte keiner mehr. "Aber als wir den Gipfel endlich erreichten, war es ein Abgrund." Eine trittsichere Geschichte, die mit Leichtigkeit in philosophische Höhen entführt und mit der Schlußpointe eine neue Sicht ermöglicht. Schöne Aussicht: Wie zweideutig!

Nicht alle Erzählungen sind so geschlossen. Doch der Geist des Beginns findet sich auch in den folgenden, manchmal als Hauch, manchmal als kräftiger Wind wie in der Geschichte "Der Tod stirbt", wenn ein Stakkato von Fragen keine einfachen Lösungen zuläßt: "Der Tod ist der Zweck des Lebens, vielleicht? Oder: Der Tod ist der Freund des Lebens, noch eher? Denn nichts anderes als die Angst vor dem Tod ist die Liebe zum Leben?" In diese Kategorie gehört auch "Kleiner Schmerz": "Man kommt auf die Welt und ist enttäuscht. Dann kommt man nach Rom und ist enttäuscht. Paris, Brüssel, London. Man ist wieder enttäuscht. Berlin ist nicht die Stadt, wo man leben will. In der Puszta stiehlt man die Pferde nicht. Überall sind die Berge weniger hoch, als man gedacht hat, die Ebenen weniger weit. Die Wasser weniger tief. Und in Holland sind einem die Flügel der Windmühlen zu klein."

Der kleinen Form verpflichtet, ist es sicher kein Zufall, daß der Schweizer Amann sich intensiv mit Robert Walser auseinandergesetzt hat. Die kurzen Prosastücke zeigen, wie man Erinnerungen so festhalten kann, daß man über die Wirklichkeit stolpert. Der Erzähler als Allmächtiger, bei dem es beim Hinsehen Herbst wird.

Amann findet neben der Wanderschaft noch andere Bilder für das Leben: Abfahren, Verabschieden, manchmal Ankommen, dazwischen, das ist das Leben, manchmal mit geborgten Gefühlen, wie das alte Ehepaar in "Holz", einem der Mikrodramen. Meint eine alte Frau im Wald erstaunt: So viel Holz: "Das könnten wir, wie sehr wir auch unseren Ofen füttern würden und die Nächte durchheizen und die verbleibenden Winter erwärmen - und würden auch Stürme ums Haus toben, die uns noch unbekannt sind -, gar nicht mehr alles verbrennen." Der Mann meint drauf zu seiner Frau: "Es gehört uns ja ohnehin nicht."

Die Sinnfrage wird auch in den Buchhandlungen gestellt und in Geschichten gekleidete Antworten, wie die des Brasilianers Paulo Coelho, finden ein dankbares Publikum. Der Erfolg von dessen erstem Buch, "Der Alchimist", war ein Triumph der Mundpropaganda. Die Mundpropaganda für "Schöne Aussicht" sollte anlaufen, zumindest ein Teil des Coelho-Publikums auch zu Amann greifen, denn er ist eine Alternative, eine europäische Ergänzung des Brasilianers.

Schöne Aussicht Prosastücke von Jürg Amann. Haymon Verlag, Innsbruck 1997, 117 Seiten, geb. öS 198,

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