Trost der nutzlosen Dinge

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Ich bin ein Sammler von unnützen Gegenständen. Wenn der Sommer vorbei ist, packe ich sie aus, der Herbst ist ihre Zeit. Vor den Büchern und zwischen den Büchern, auf dem Schreibtisch und im Kasten stehen und liegen sie nun: der graue Stein aus den Cave di Maiano bei Florenz, die leeren französischen Weinflaschen mit sonderbaren Etiketten, der Messingleuchter aus einem englischen Altwarengeschäft, der Pinienzapfen aus Kroatien, die kopierte Ikone aus Kreta.

Jeder Gegenstand erzählt seine Geschichte. Da steht eine Reise vor Augen, eine Begegnung, ein Mensch, der nahe war. Landschaften werden sichtbar, Städte öffnen ihre Straßen, Restaurants, die ein Gespräch zu zweit beherbergt haben, fordern zum Eintritt auf.

Gegenstände dieser Art haben eine bemerkenswerte Wirkung. Wenn der Alltag den Blick verengt, dann stellen sie wieder her, was einem abgeht: Weitblick, Vergegenwärtigung wichtiger Erfahrungen, denen gegenüber sich die Last des Tages unwichtig ausnimmt. Das Ding ist eine Spur, die ins Freie führt. Denn "die Erinnerung allein schafft den Raum, in dem wir leben", vermerkte Stefan Andres.

Solche Gegenstände liegen tröstlich in der Hand, weil sie eine handgreifliche Bestätigung der Erinnerung an Zeiten gelungenen Lebens sind. Sie bewahren nicht nur vage Nostalgie auf; sie sagen: So war es wirklich, die Erinnerung täuscht dich nicht. Auch die Zukunft wird Tage bringen, an denen es sich lohnt, ein scheinbar unnützes Ding festzuhalten, damit die Erinnerung nicht erlischt.

So erkläre ich mir, was Reliquien ursprünglich bedeutet haben, ehe sie der Schimmel des Aberglaubens überzogen hat. Die Erinnerung an heilsame Augenblicke und heilsame Menschen kann zwar im Kopf virtuell gespeichert werden, um aber sicher zu sein, was war und was noch kommen kann, braucht es den Trost der Dinge.

Der Autor ist freier Publizist.

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