Tschechiens Aversion gegen EU- und andere "Flaggenträgerbräuche"

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Der tschechische Botschafter in Wien, Jan Koukal, verteidigt seinen Präsidenten und erklärt die besonderen Beziehungen Tschechiens zu den USA, die auch der EU von Nutzen sein können.

Die Furche: Herr Botschafter, Tschechien wird sich nach dem umtriebigen und erfolgreichen französischen Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy anstrengen müssen, das hohe EU-Tempo zu halten?

Jan Koukal: Lassen Sie mich mit einer sprachlichen Anmerkung anfangen: Wir sprechen in der Tschechischen Republik eher vom EU-Vorsitz, Frankreich und weitere Länder eher von einer Präsidentschaft. Bedenkt man die Verschiedenheit der Verfassungssysteme, hat diese Wortwahl eine interessante Aussagekraft. Jedoch zur Sache: Ich denke nicht, dass Sarkozy außerordentlich erfolgreich war. Wenn Probleme auftraten, löste er sie nicht, er umging sie und löste sie höchstens administrativ.

Die Furche: Was hätte er tun sollen?

Koukal: Es ist selbstverständlich gut so und wir sind froh, dass er es getan hat. Sarkozy hat auch eine sehr gute PR-Arbeit geleistet und Frankreich hat laut Medienberichten das Gefühl erhalten, dass es seine Position in der globalen Welt wieder gefunden hat. In Wahrheit aber hatte Frankreich diese Position und wird diese unabhängig von Sarkozys Präsidentschaft auch weiterhin haben. Das heutzutage dominierende Thema der Finanzkrise, ist eine Krise der Moral und Professionalität der Finanzmänner auf vielerlei Ebenen, vor allem in den USA. Der Anfang dieser Krise und die Lösungen dafür sind von Sarkozy weit entfernt.

Die Furche: Hat Sie Sarkozy verärgert, als er kritisierte, dass keine EU-Fahnen auf der Prager Burg angebracht werden?

Koukal: Wir haben gegenüber diesen "Flaggenträgerbräuchen" eine historisch bedingte Aversion. Im kommunistischen Regime sind dessen Aktivisten vor jedem Staatsfeiertag durch die Straßen gegangen und haben sich jene Häuser notiert, an denen keine Flagge gehangen ist. Deshalb wird man bei uns auch an einem Staatsfeiertag nicht viele Staatsflaggen finden. Wenn die Franzosen gerne mit Flaggen umhergehen, warum nicht! Wir haben diesen Brauch vorerst nicht. Wir müssen und sollen in der EU nicht gleich sein.

Die Furche: Wie geht es mit dem Lissabon-Vertrag weiter, den Tschechien noch nicht ratifiziert hat?

Der Tschechische Verfassungsgerichtshof hat die vom Senat gestellten Fragen so beantwortet, dass der Vertrag von Lissabon nicht im Widerspruch mit der Verfassung der Tschechischen Republik steht. Der Vertrag von Lissabon ist kein Dokument absoluter Genauigkeit und keine genaue Definition aller Beziehungen und Rechtskräfte. Wir müssen diesem Dokument mit einem gewissen Maß an Toleranz und Vertrauen gegenübertreten und nur die weitere Entwicklung wird zeigen, ob dies auch gut war.

Die Furche: Der Druck von außen, den Vertrag zu ratifizieren, wird während der Präsidentschaft, wo alle Augen auf Prag gerichtet sind, wahrscheinlich noch zunehmen.

Koukal: Druck von außen wird in der Tschechischen Republik nicht gerade positiv aufgenommen. Nicht nur deshalb nutzen die Parlamentskammern den zeitlichen Raum, den das irische Referendum geboten hat. Übrigens: Vorsicht Europa! Die Iren sind in vielem genauso übermütig wie wir und das zweite Referendum könnte auch mit einem "Nein" ausgehen. Nichtsdestotrotz kann man erwarten, dass in Tschechien beide Parlamentskammern dem Vertrag bis Ende Februar zustimmen.

Die Furche: Dann braucht es noch die Zustimmung von Präsident Václav Klaus.

Koukal: Die Ratifikationsunterschrift des Präsidenten wird mit größter Wahrscheinlichkeit vom Ergebnis des irischen Referendums abhängen. Das heißt, sagt Irland "ja", dann wird der Vertrag auch von der Tschechischen Republik ratifiziert. Im umgekehrten Falle steht das Dokument vor einem weiteren Prozess des Hin und Her. Das wäre dann die Aufgabe Schwedens, unseres Nachfolgers im EU-Vorsitz.

Die Furche: Wie schaut es mit dem Störpotenzial des US-Raketenabwehrprojekts in Tschechien für den EU-Vorsitz aus?

Koukal: Es ist wahr, das diese Projekte zeitlich parallel ablaufen. Beides hat jedoch miteinander faktisch nichts zu tun. Betrachten wir die letzten 90 Jahre unserer Geschichte, versteht man die Bemühung der tschechischen Regierung in Bezug zur USA. Das Interesse von Seiten der Tschechischen Republik am technologischen Teil dieses Raketenschildes hat nicht nur eine militärische Bedeutung. Die EU-Präsidentschaft hilft uns jetzt, unseren Standpunkt besser zu erklären. Wir wollen und werden aber beides schaffen.

Die Furche: Ist der tschechische EU-Vorsitz in diesem Sinn gut für die transatlantischen Beziehungen?

Koukal: Unser Vorsitz kann gerade dank des transatlantischen Bündnisses bei Teilfragen helfen. Die tschechischen Visaverhandlungen mit den USA haben zum Beispiel auch für andere europäische Länder gute Ergebnisse gebracht. Ich will unsere Beziehungen zu den USA nicht überschätzen, doch das transatlantische Bündnis ist nicht nur Realität, sondern auch eine Notwendigkeit in der heutigen Welt. Deshalb werden wir diesen Weg weiter beschreiten.

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