Tsunami der Niedertracht

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Strindbergs "Totentanz" in einer Zadek-Inszenierung bei den Wiener Festwochen.

Aus dem Meer im Hintergrund ragt Land auf, das man auf den ersten Blick auch für eine Tsunami-Woge halten könnte. Und tatsächlich spült August Strindbergs gerade 100 Jahre altes Drama "Der Totentanz" eine Flutwelle an Gemeinheit, Hass und Niedertracht auf die Bühne. Die Festwochenproduktion im Wiener Akademietheater zeigt große Schauspieler am Werk.

"Der Totentanz" zeigt die Ruine einer Beziehung, die vielleicht nie eine war, vielleicht aber auch nur nachträglich als Dauerkatastrophe empfunden wurde. Im Festungsturm einer Insel hausen der Hauptmann Edgar (Gert Voss) und seine Frau Alice (Hannelore Hoger), eine ehemalige Schauspielerin, die einander nach 25 Ehejahren nur noch in morbider Hassliebe verbunden sind. Zwischen Kanone und Klavier trauern beide auch versäumten oder misslungenen beruflichen Karrieren, der militärischen und der künstlerischen, nach. Der aus Amerika heimgekehrte Jugendfreund Kurt (Peter Simonischek) wird in das Intrigenspiel hineingezogen, bis er - im zweiten, selten gespielten, Teil des Stückes - durch Edgars Winkelzüge seine Stellung und sein Vermögen verloren hat. Als Edgars Tochter Judith (Johanna Wokalek) den ihr vom Vater als Ehemann zugedachten Oberst beleidigt und zurückweist, weil sie Kurts Sohn Allan (Philipp Hauß) liebt, erleidet Edgar einen tödlichen Schlaganfall. Erst über den toten Edgar findet die ständig gedemütigte, keineswegs positiv gezeichnete Alice wieder einige freundliche Worte. Was aus der Beziehung der jungen Leute, die sichtlich Charaktereigenschaften ihrer Eltern geerbt haben, werden kann, bleibt offen.

Im ersten Teil ist der boshafte, psychopathische Züge tragende Edgar für Kurt "kein Mensch", im zweiten "der gewöhnlichste Mensch der Welt". Was Strindberg hier in extremer Form verarbeitet - seine eigenen desaströsen Erfahrungen mit der Ehe -, darf man aber weder als Einzelschicksal abtun noch zum normalen Alltagszustand erklären. Hundert Jahre später ist außerdem die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Ehepartner, die einander so das Leben zur Hölle machen, keine 25 oder mehr Jahre beisammen bleiben.

Peter Zadeks sehr präzise, eher langweilig und gemütlich beginnende Inszenierung lebt von den Darstellern, sicher nicht von den für diesen Regisseur typischen irritierenden und unnötigen Lichtwechseln im Zuschauerraum. Der Ehekrieg zwischen dem von Gert Voss schockierend lebensecht gestalteten Misanthropen Edgar und seiner Frau Alice, deren Rachedurst, aber auch Sehnsucht nach Trost Hannelore Hoger großartig zum Ausdruck bringt, erwacht so richtig mit dem Auftritt von Peter Simonischek als Kurt - ein suchender Mensch zwischen zwei Monstern. In den Rollen der Jungen zeigen Johanna Wokalek, Philipp Hauß und Michele Cuciuffo (Leutnant) glaubwürdig Gefühle und wecken Hoffnung auf die nächste Generation. Karl Kneidl steuerte für beide Teile die jeweils richtige Ausstattung und Beleuchtung bei, zunächst Enge und Halbdunkel, später Weite und Helligkeit. Nach fast vier Stunden - mit zwei Pausen und einigen, teils sogar unfreiwillig, komisch wirkenden Szenen - raffte sich das teils sichtlich ermattete Publikum noch zum verdienten lebhaften Schlussapplaus auf.

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