TTIP und Brexit als Fanal

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Die TTIP-Papers sind Wasser auf die Mühlen der öffentlichen Meinung: Weder die USA noch der Freihandel haben derzeit Konjunktur. Für Europa ist das nicht erfreulich.

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Die TTIP-Papers sind Wasser auf die Mühlen der öffentlichen Meinung: Weder die USA noch der Freihandel haben derzeit Konjunktur. Für Europa ist das nicht erfreulich.

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Wenige Wochen nach den "Panama Papers" nun die nächste "Enthüllung", die geeignet ist, das "kapitalistische" Wirtschaftssystem (weiter) in Misskredit zu bringen: Die von der Umwelt-NGO "Greenpeace" veröffentlichten Unterlagen über das ohnedies an der Kippe stehende Transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP) zwischen der EU und den USA machen dessen endgültiges Scheitern noch ein Stück wahrscheinlicher.

Nun kann man über TTIP gewiss unterschiedlicher Meinung sein, es wäre naiv anzunehmen, dass ein solches Abkommen keine Schattenseiten haben könnte, und völlig klar ist, dass gerade bei Verhandlungen in dieser Dimension der sprichwörtliche Teufel im Detail steckt. Was aber jenseits sicherlich im einzelnen gerechtfertigter Bedenken irritiert, ist die prinzipielle Verständnislosigkeit gegenüber der dahinterstehenden Idee, das tiefe Misstrauen gegenüber dem Grundplot sozusagen.

Wechselseitiges Desinteresse

Das hat schon einmal mit dem ersten T des Akronyms TTIP, das für "transatlantisch" steht, zu tun. Das Verhältnis Europas zu den USA schwankt zwischen Überheblichkeit und Minderwertigkeitskomplex, die wie so oft auch hier nur zwei Seiten einer Medaille sind und sich letztlich in Ablehnung manifestieren. Tatsächlich aber ist die europäische Nachkriegserfolgsgeschichte nicht ohne die USA zu denken. Nun muss man leider sagen, dass auch die USA unter Barack Obama das Interesse an Europa verloren haben, was nicht nur die Schuld Europas ist (diese Haltung würde sich unter Donald Trump wohl fortsetzen - während man von Hillary Clinton hier mehr erwarten dürfte). Aber umso mehr müsste Europa an dieser ökonomisch wie politisch alles in allem bewährten Achse festhalten.

Zur transatlantischen Ignoranz passt auch die weit verbreitete schulterzuckende Gleichgültigkeit, mit der dem drohenden Ausstieg des Vereinigten Königreichs - des europäischen Brückenkopfes zu den USA - aus der EU ("Brexit") begegnet wird. Angela Merkel ist hier -wie auch bei TTIP - eine der wenigen europäischen Leader, die versteht, was dabei auf dem Spiel steht. Sie hat freilich durch ihr Agieren beim Thema Massenmigration viel an politischem Kredit verspielt. Die EU hätte jedenfalls mit dem Brexit "auf einen Schlag ihre neben Frankreich stärkste Militärmacht, den führenden Finanzplatz, die zweitgrößte Volkswirtschaft, die drittgrößte Bevölkerung, eine Hochburg der europäischen Kultur, der universalen Menschenrechte, der Demokratie und der freien Marktwirtschaft verloren", schrieb kürzlich die NZZ. Doch solche Stimmen sind in Politik wie Medien leider selten.

Und dann hat natürlich auch der Freihandel an sich keine besonders gute Presse. Dabei ist klar, dass er global gesehen der Wohlstandsmotor schlechthin ist, das beste Programm zur Bekämpfung von Hunger und Elend -mehr als vieles, was unter dem Etikett von "globaler Gerechtigkeit" läuft.

"Postmoderner ennui"

Nein, es steht zur Zeit nicht besonders gut um Europa. Der geistig-kulturellen Abdankung folgt die politisch-ökonomische auf dem Fuß. Oder umgekehrt, aber das tut nichts zur Sache.

Ein "Europa, das in seinem postmodernen Ennui von sich aus die Tradition [seiner] Werte schleifen ließ", so beschrieb es Rudolf Taschner unlängst trefflich in der Presse. Ein solches Europa ist freilich in der Tat denkbar schlecht gerüstet für hochkomplexe Verhandlungen mit transatlantischen Partnern. Es hat auch wenig diversen zentrifugalen Kräften und sezessionistischen Bestrebungen entgegenzusetzen. Von der gigantischen Herausforderung der Migrationsströme gar nicht zu reden.

Es ist nur scheinbar paradox, dass vor diesem Hintergrund die Parole "Wir brauchen mehr Europa" nicht verfängt. Eine weitere Überdehnung Europas würde nur jene Probleme verschärfen, als deren Lösung sie sich ausgibt. Geboten wäre indes ein Mehr an innerer wie äußerer Sicherheit und an wirtschaftlicher Dynamik. Eine atlantische Brise könnte da nicht schaden.

rudolf.mitloehner@furche.at

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