Turandots Menschwerdung

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Puccinis Oper ist nach Salzburg zurückgekehrt - mit dem neuen Schluss von Luciano Berio.

Eine gepeitschte See moderner Klänge, aus der wie ein lebendes Fossil Puccini-Anklänge auf- und schnell wieder abtauchen: Mit einem neuen, von Luciano Berio komponierten Schluss präsentierte sich Giacomo Puccinis "Turandot" bei den Salzburger Festspielen. Puccini starb bekanntlich, bevor er seine letzte Oper vollenden konnte, und der von Franco Alfano 1926 eilig hinzukomponierte Schluss wurde von der Musikwissenschaft stets als unbefriedigend empfunden. Berio nun stützte sich stärker als Alfano auf die von Puccini hinterlassenen Skizzen zum "Turandot"-Schluss, ohne jedoch so klingen zu wollen wie Puccini und die musikalische Sprache der Gegenwart zu verleugnen. Bei dieser österreichischen Erstaufführung des neuen Finales waren denn auch klappernde Orchesterausbrüche, wabernde Klangteppiche, Wagner-Zitate und eben Puccini-Sequenzen zu hören. Dirigent Valery Gergiev arbeitet hier mit wesentlich feinerer Klinge als etwa im ersten Akt, wo er mit roher Gewalt, gleichsam mit der Keule, die Wiener Philharmoniker durch die Partitur treibt.

Ein Hammer, freilich im positiven Sinn, ist David Pountneys Regiearbeit: Für ihn entspringt "Turandot" dem gleichen massen- und maschinenbesessenen Zeitgeist wie er in Charlie Chaplins "Moderne Zeiten" oder Fritz Langs "Metropolis" kritisch auf die Spitze getrieben wird, und er macht aus Puccinis exotischem China eine riesige Maschinerie, die von Robotern gesteuert und von gesichtslosen Arbeitsdrohnen am Laufen gehalten wird. Das megalomane Bühnenbild (Johan Engels) scheint sogar die Bühne des Großen Festspielhauses zu sprengen.

Allein der exilierte Herrscher Timur (Paata Burchuladze), seine Sklavin Liù (Christina Gallardo-Domas) und sein Sohn Calaf (Johan Botha) sind menschlich. Der Kaiser (Robert Tear) und der Mandarin (Robert Bork) sind riesige Marionetten, Ping, Pang und Pong (Baaz Daniel, Vicente Ombuena, Steve Davislim) gut gemachte Androiden, die mit ihren metallenen Klauen an Gestalten aus Horrorfilmen erinnern. Die zu Beginn fehlerlose Turandot (Gabriele Schnaut) befindet sich verborgen, gefangen in einem riesigen Kopf, der Maria aus "Metropolis" gleicht. Ihren stärksten Moment hat die Aufführung, wenn sich dieser Kopf öffnet und die grausame, unerbittliche Turandot ihre drei Rätsel stellt, um sie herum der Chor wie eine Armee aus chinesischen Tonsoldaten, getaucht in gleißendes rotes Licht. Zuckend, mit kaum zu überbietender Dramatik singt Gabriele Schnaut gegen den drohenden Verlust von Turandots Unmenschlichkeit an, während Johan Botha, wie immer mit mächtigem Vokuhila wacker durch die Inszenierung tappend, nur stimmlich Calafs vermenschlichende Liebe verströmt.

Über Liùs Leiche, die für Calaf ihr Leben gibt, vollzieht sich schließlich zu Berios kalten Klängen die Menschwerdung Turandots. In einem unendlichen, leeren Raum, in dem auch andere Bewohner der Gegenwart sich finden - eher verzweifelt als glücklich. Kein wirkliches Happy End also.

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