Typisch, aber ausgestorben

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Straßenhändlern, Kleinhandwerkern und anderen typisch städtischen Figuren widmet das Wien Museum die Ausstellung Wiener Typen. Eine Rückschau auf das Stadtleben der Vergangenheit.

Im Wienerlied wird er als "echt’s Weanakind besungen“: Der Fiaker, mit der Peitsche in der Hand am Kutschbock sitzend, ausgestattet mit Melone, Gilet und Mascherl, im Umgang derb aber herzlich, herrisch und unterwürfig zugleich. Neben dem grantigen Kaffeehauskellner und dem rabiaten Hausmeister gilt der Fiaker als eine typische Wiener Figur und wird auch entsprechend in der Tourismuswerbung vermarktet. Dabei ist er nur eines der letzten Überbleibsel eines reichhaltigen Inventars von Wiener Typen, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die österreichische Hauptstadt bevölkerten. Doch das kokette und selbstbewusste Wäschermädl oder der freche Schusterbub sind ausgestorben und nur noch älteren Zeitgenossen oder historisch Interessierten ein Begriff.

Relikte des gemütlichen Wiens

Das Wien Museum widmet nun den Wiener Typen eine gleichnamige Ausstellung. Die als stadttypisch geltenden Figuren gehörten zumeist der Unterschicht an. Im Zuge des Modernisierungsschubs im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden sie zu Relikten einer verschwindenden Welt stilisiert, des "alten, gemütlichen Wien“, und in zahllosen Druckgrafiken und Fotografien abgebildet. Auch in Wienerlied, Operette und Film tummeln sich viele dieser Stadtoriginale. Bezeichnenderweise gehörten Fabrikarbeiter nicht zu den gängigen Wiener Typen. Einen proletarischen Hintergrund hat allenfalls der Pülcher, also die Figur des Kleinkriminellen, der einen gewissen rauen Charme hat.

Heutzutage liegt es im Trend, derartige Typen pauschal als "Konstruktion“ abzutun. Das jedoch vermeidet die Ausstellung im Wien Museum zum Glück, trotz der obligaten Hinweise auf "Zuschreibungen“, "Imaginationen“ etc. etc. Jens Wietschorke räumt in seinem Beitrag im - wie immer exzellenten - Ausstellungskatalog ein, dass Klischee und Wirklichkeit nicht so einfach voneinander zu trennen seien. Zum einen nämlich entsprechen die Typen einer "notwendigerweise typisierenden Alltagswahrnehmung“, zum anderen handle es sich bei den Typen um "Rollen- und Identitätsangebote“, die Händlern und Kleinhandwerkern gleichsam als frei verfügbare Marke mit dazugehörigen Markenzeichen dienten.

Freilich blieben die realen Lebensumstände der Wiener Typen in der Vergangenheit stets ausgeblendet. Die Schau im Wien Museum wirft nun einen sozialhistorischen Blick auf den harten Arbeitsalltag der romantisiert Dargestellten, der von bitterer Armut und extremer körperlicher Belastung geprägt war. Umherziehende Händler zum Beispiel legten zu Fuß enorme Distanzen zurück, um ihre Waren zu verkaufen, wobei ihnen die Verwendung von Pferdewagen untersagt war. Kellner hatten zwar die minimale Chance, es einmal zum Gastwirt zu bringen, doch für die meisten war diese Arbeit ein äußerst schweres Los. Zu den exorbitanten Arbeitszeiten kam die schlechte Wohnsituation. Kellner schliefen auf Strohsäcken am Dachboden oder in Schubladkästen in der Wirtsstube.

Dass Dienstmädchen der Nimbus des Erotischen umwehte, kam nicht von ungefähr. Schließlich lockte der städtische Heiratsmarkt viele junge Migrantinnen aus den Alpen an. In den Jahren 1910 bis 1913 entfiel ein Fünftel der in Wien geschlossenen Ehen auf Bräute mit dem Beruf Dienstmädchen.

Auf der untersten Stufe standen jene, die ihr Brot mit der Beseitigung und Wiederverwertung von Abfällen verdienten. Lumpensammler und Abdecker hatten ein erhöhtes Risiko, am gefürchteten Milzbrand zu erkranken. Wie heute in der Dritten Welt entstanden damals Armenquartiere am Rand von Mülldeponien. Miststierler, die auf Deponien nach verwertbaren Resten suchten, gab es in Österreich bis in die 1950er-Jahre.

Untergegangene Berufe

Die Ausstellung im Wien Museum ist auch Panoptikum untergegangener Berufe. Das Eierweib oder den Salamini gibt es nicht mehr. In Zeiten der Wegwerfgesellschaft sind auch all jene Berufe verschwunden, die mit Reparatur zu tun hatten, wie Lumpensammler und Aschenmänner. Handwerkliche Berufe sind heutzutage arbeitsrechtlich gut geregelt, doch prekäre Arbeitsverhältnisse sind nur in andere Bereiche abgewandert. Heute sind es die sogenannten Neuen Selbstständigen wie Webdesigner, Journalisten, Berater aber auch Künstler, die ein Leben am Rande der Armut führen.

Wiener Typen

Klischees und Wirklichkeit

Wien Museum

bis 6. Oktober, Di-So 10-18 Uhr

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