Über Recht & Richtigkeit

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Die Embryonen-Forschung wurde stets mit zukünftigen Therapien gerechtfertigt. Und jetzt?

In Österreich wird mit menschlichen humanen embryonalen Stammzellen (kurz: hES) geforscht. Diese stammen aus dem Ausland. Ihr Import ist erlaubt, weil er nicht verboten ist. Diese Gesetzeslücke soll jetzt womöglich geschlossen werden.

Schutz des Embryos

Weltweit gibt es seit 1978 - der ersten In-Vitro-Fertilisation - tausende "überzählige Embryonen". Der deutsche und - etwas anders - auch der österreichische Gesetzgeber will (eigentlich) keine solchen überzähligen Embryonen haben. Laut Embryonenschutzgesetz (Deutschland) dürfen nur so viele Embryonen hergestellt werden, wie eingepflanzt werden (maximal drei). Das österreichische Gesetz ist etwas liberaler. In beiden Ländern soll der Embryo nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft und nicht zu Forschungszwecken, beziehungsweise zur Gewinnung von hES-Zellen hergestellt werden. Man will den extrakorporalen Embryo vor dem Zugriff Dritter schützen. Das hängt in Deutschland mit Artikel 1 Grundgesetz zusammen, der besagt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Diese Würde kommt nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes auch dem menschlichen Embryo zu. Dieser hat ein Recht auf Unversehrtheit und Leben (Art. 2, GG), es gilt das Verbot der Totalverzweckung. Der Embryo soll um seiner selbst willen geachtet und darf nicht für andere Zwecke - etwa zur Stammzellgewinnung - instrumentalisiert werden.

Eigenartiger Kompromiss

Weltweit läuft seit zehn Jahren die Forschung an hES-Zellen. Deutsche und österreichische Forscher wollen daran teilnehmen. Gleichzeitig soll der Würdeschutz des Embryos aufrechterhalten werden. So hat man sich in Deutschland zu einer eigenartigen Kompromisslösung im Stammzellgesetz entschieden: Forscher dürfen embryonale Stammzell-Linien (nicht Embryonen!) aus dem Ausland importieren, aber nur solche, die bis zu einem bestimmten Stichtag (1.1.2002, Gesetzeserlass Mai 2002) gewonnen wurden. Die bis dahin im Ausland getöteten Embryonen - so das Argument - werden nicht mehr lebendig, das Unrecht ist bereits geschehen. In der Geschichte (etwa der NS-Zeit) seien Forschungsergebnisse auf unethische Weise zustande gekommen, die man aber dennoch nutze.

Import unter Auflagen

Bedingungen für den Import der Zellen: Herstellung im Herkunftsland zur Schwangerschaft, keine weitere Verwendung, Zustimmung der Eltern, kein Entgelt, Import-Genehmigungsverfahren. Dieser Stichtag soll jetzt auf 2007 verschoben werden, weil Zellen aus 2002 zu alt, unbrauchbar (tierische Nährmedien), zu wenig gut charakterisiert und inzwischen genetisch/epigenetisch verändert sind.

Und die Situation in Österreich? Aus "inländischen" überzähligen Embryonen dürfen keine embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Auch hier: Herstellung von Embryonen nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Der Gesetzgeber spricht nicht vom "Embryo", sondern von "entwicklungsfähigen Zellen" (FmedG). Das hat seine eigene naturwissenschaftliche und ethische Problematik. Soll der Import von hES-Zellen aus dem Ausland gesetzlich geregelt werden, sind grob drei Szenarien denkbar:

Drei mögliche Szenarien

a) Man lässt alles, wie es ist, dann können hES-Zellen aus dem Ausland importiert werden, unabhängig davon, ob sie dort zu Forschungszwecken hergestellt wurden, "Eltern" zugestimmt haben, Geld dafür oder für eine Eizellspende der Frau gezahlt wurde (in England bis zu 1500 Pfund).

b) Man macht ein Gesetz, das den Import regelt, nur überzählige Embryonen zulässt, mit Zustimmung der Eltern, kein Entgelt, Einfuhrgenehmigung etc., oder

c) der Embryonenschutz ist so wesentlich, dass er nicht gegen das Recht auf Forschungsfreiheit abgewogen werden kann.

Der letztgenannte Aspekt der Güterabwägung zwischen Embryonenschutz und Forschungsfreiheit wurde im deutschen Bundestag (Mai 2007, der Autor war dort als Sachverständiger involviert) von Reinhard Merkel - deutscher Strafrechtler -, so argumentiert, dass der Embryonenschutz mit der Hochrangigkeit der therapeutischen Ziele abgewogen werden müsse, dass "eine Abwägung des gebotenen Schutzes für den frühesten Embryo mit den sozialethisch bedeutsamen Zielen der Stammzellforschung ethisch zulässig" und wegen der Hochrangigkeit der "vor allem … therapeutisch orientierten" Ziele sogar "ethisch geboten" sei.

Therapeutisches Ziel?

Zu den therapeutischen Zielen folgendes: Weltweit wird seit zehn Jahren an hES-Zellen geforscht. Bisher ist kein einziger Therapieversuch, geschweige denn eine etablierte Therapie mit hES-Zellen entstanden. Dafür gibt es naturwissenschaftliche Gründe: Zellen, die dem Embryo am 5./6. Tag aus der inneren Zellmasse entnommen und zu embryonalen Stammzellen umgewandelt werden, haben von ihrem genetischen Programm her nur ein Ziel: sich zu differenzieren. Damit sie dies geordnet(!) tun können, bedürfen sie der epigenetischen Umgebung des Embryos. Wenn die Zellen aus dem Embryo herausgerissen, durch Hormonzugabe in ihrem Zellzyklus verändert und in den Organismus eines Kranken verbracht werden - dessen Immunsystem unterdrückt werden muss - verläuft die Zelldifferenzierung ganz ungeordnet(!).

Problem: Tumore

Es bilden sich krebsartige Tumore (Teratome). Um dies zu verhindern, müsste man vor der Transplantation alle undifferenzierten Zellen ausdifferenzieren. Das ist fast unmöglich, weil man nicht alle undifferenzierten Zellen "erwischt". Sollte es gelingen, hätten die Zellen keinen therapeutischen Nutzen mehr. Dies gilt auch für hES-Zellen aus geklonten Embryonen, die obendrein durch das Klonen Schäden tragen.

Der gegenüber adulten Stammzellen geäußerte Vorteil der Undifferenziertheit von ES-Zellen (alle 220 Zelltypen des Organismus können entstehen), ist gleichzeitig ihr größter Nachteil. Er ist so grundsätzlicher Art, dass er womöglich nicht zu beseitigen ist. Von daher ist eine Therapie mit embryonalen Stammzellen kaum in Sicht (inzwischen fast Konsens, private Investoren ziehen sich aus therapieorientierter Forschung zurück). Damit wird die Rechtfertigung für Forschungen mit hES-Zellen immer schwieriger. Daher werden zwei andere Argumente genannt: das Recht auf Forschungsfreiheit (Grundlagenforschung) sowie die Reduktion von Tierversuchen zur Toxizitätsprüfung ("Giftigkeitsprüfung") von Arzneimitteln. Ob diese Argumente ausreichen, um den Schutz des Embryos - aktuell begleitet von der EU-Charta, die die Unantastbarkeit der Würde des Menschen neuerlich herausstreicht - zu unterlaufen? Selbst wenn hES-Zellen keine Würde haben, stammen sie doch von einem Embryo, der dafür vernichtet wird.

Nichts versäumt

Bisher hat man in Österreich nichts versäumt: im Kontext der hES-Zellen Therapie hat man ohne finanziellen Aufwand dasselbe erreicht wie der Rest der Welt: nämlich nichts. Der Verzicht auf humane embryonale Stammzellforschung und die Umleitung von Forschungsgeldern in adulte, Nabelschurblut- oder iPS-Zellen wäre ethisch unproblematisch, naturwissenschaftlich (bzgl. Therapien) sinnvoll und ökonomisch am günstigsten. An Therapien stehen seit über 20 Jahren adulte Stammzellen, seit kurzem Nabelschnurblutstammzellen und demnächst vielleicht induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) zur Verfügung.

Der Autor hat Medizin und Theologie studiert und ist Professor für Medizinethik/Moraltheologie an der Universität Wien.

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