Überborden des Erwachsenwerdens

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Der österreichische Regisseur Jakob M. Erwa legt mit "Die Mitte der Welt" seinen dritten Langfilm vor. Ein Coming-of-Age besonderer Art.

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Der österreichische Regisseur Jakob M. Erwa legt mit "Die Mitte der Welt" seinen dritten Langfilm vor. Ein Coming-of-Age besonderer Art.

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Dualitäten, versöhnliche und unversöhnliche, bestimmen Jakob M. Erwas neuen, dritten Spielfilm "Die Mitte der Welt". In seiner Adaption des Jugendromans von Andreas Steinhöfel erlebt der 17-jährige Phil einen aufwühlenden und wegweisenden Spätsommer. Gerade aus dem Ferienlager zurück, findet er seine ewig rebellische Mutter Glass in der heimischen "Villa Visible", einer Mischung aus verfallenem Märchenschloss und Villa Kunterbunt in einer kleinbürgerlichen deutschen Vorstadt, auffallend distanziert vor. Offenbar gab es einen größeren Streit mit Phils Zwillingsschwester Dianne, über den man ihm nichts erzählen will. Phil kennt die Stimmungsschwankungen der beiden gut genug, um sich vorerst keine Sorgen zu machen. Seine beste Freundin Kat (Svenja Jung) lenkt ihn mit ihrer verrückten Art effizient ab und dann kommt am ersten Schultag auch noch Neuzugang Nicholas in die Klasse, in den sich Phil Hals über Kopf verliebt.

Elemente aus beiden Vorgängerfilmen

Mit seinem Langfilmdebüt "Heile Welt", das Erwa semidokumentarisch mit Handkamera zwischen 2005 und 2007 in seiner Heimatstadt Graz drehte, trat der heute 35-Jährige als auffallend talentierter Regisseur in Erscheinung, mit einem besonderen Gespür für soziale Milieus und jugendliche Befindlichkeiten. In seinem darauf folgenden "Homesick" hatte er seine Affinität zum Genre des Mystery-Suspense betont und verfeinert. "Die Mitte der Welt" bringt Elemente aus beiden Hauptquellen zusammen - der adoleszenten Sturm-und Drangzeit sowie dem oft bedrohlich abgründig wirkenden Erwachsensein. Stellenweise ist das sehr gelungen, etwa wenn der menschenfreundliche Phil sich in der bewaldeten und von einem massiven Sturm verwüsteten Einöde um die Villa Visible bewegt. Naturgewalt gegen Vorhersehbarkeit, Struktur vs. Chaos, Konvention gegen Freiheit, das sind Pole, zwischen denen sich die Kleinfamilie von Phil und Dianne sowie ihrer alleinerziehenden Mutter Glass bewegt. Der Dreierkonstellation wohnen einige Geheimnisse inne, und der heranwachsende Phil ist dabei, sie allmählich zu entschlüsseln. Seine größte gefühlte "Leerstelle" ist die Abwesenheit seines Vaters, dessen Namen Glass beharrlich verschweigt. Nach ihm will Phil suchen, um sich selbst näher zu kommen.

Schon für Autor Steinhöfel war die Homosexualität seines Protagonisten selbstverständlich und auch die feinfühlige Ästhetik, mit der Erwa Phils Sexualität inszeniert, setzt Akzeptanz als gegeben voraus. Stilistisch kann Erwa den Einfluss des jungen kanadischen Filmemachers Xavier Dolan nicht leugnen, der mit Filmen wie "I Killed My Mother","Laurence Anyways" und "Mommy" die Geschichten seiner homosexuellen Hauptfiguren in exaltierten Liebesmelodramen oder düster-melancholischen Kriminal-Settings erzählte und dabei stets - ebenso wie Erwa hier - überbordende Collagen, Splitscreens, Zeitlupen und schillernde Farben verwendet. Erzählerisch kann Erwa das Tempo seiner formalen Kombinationen und der dramaturgischen Wendungen nicht durchgehend stimmig gestalten. Die große Schwäche des Films aber sind die Dialoge, die oft plump wirken und dem visuellen Rhythmus in ihrer Holprigkeit zuwider laufen.

Die Mitte der Welt

D/A 2015. Regie: Jakob M. Erwa. Mit Jannik Schümann, Louis Hofmann, Svenja Jung, Constantin. 115 Min.

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