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Raketenabschussplattform der Totalkunst: Jonathan Meese im Museum Essl.

Die Kunst unterdrückt nichts, die Kunst ist totale Liebe." Dieser Satz, der beinahe wie eine Ableitung oder Fortführung der großen Meditation über die Liebe des Apostels Paulus klingt, findet sich auf einer Zeichnung des deutschen Kunstrabauken Jonathan Meese, der derzeit im Museum Essl seinen Blick auf die Welt vorstellt. Ein gigantisches Universum an Versatzstücken, die immer wieder als solche erkennbar bleiben und trotzdem ein vielschichtiges Eigenleben entwickeln.

Paulus würde angesichts Meeses integrierter Zeichnungsbetitelung sicher die Rückfrage stellen, wie denn eine totale Liebe nicht unterdrückerisch sein kann. Die Antwort von Meese blitzt immer wieder in seinen Versuchen auf, der Utopie, diesem Nichtplatz seiner Visionen, einen konkreten Ort zuzuweisen, wie zum Beispiel die Räumlichkeiten des Essl Museums. So steht man denn vor einer den gesamten zur Verfügung stehenden Raum ergreifenden Installation, zusammengefügt aus so ziemlich allen Ausdruckstechniken der bildenden Kunst. Überbordend nennt der Fachausdruck dergleichen leicht verwirrend, geht doch bei Meese rein gar nichts über Bord. Jede kleinste Möglichkeit behält er zurück und investiert sie in die zweite Wirklichkeit, jene der Kunst.

Und um diese zweite Wirklichkeit geht es ihm auch. Das, was landläufig für die Realität gehalten wird - etwa das weltweite Finanzsystem oder die geopolitischen Seilschaften -, sind für Meese ein zu überwindender Zustand. Und es scheint so als habe die Liebesvision des Paulus ihre Zeit nicht genutzt, um weiterhin als Utopie dienen zu können. Die einzige Alternative, die einzige lebenswerte Realität verkörpert daher die Kunst, die gleich einem messianischen Reich auftritt und der sich Meese auch vollständig unterordnet. "Ich persönlich will nichts bewirken, ich möchte, dass die Kunst bewirkt", sagt er im Interview mit dem Hausherrn. Kein romantischer Weltverbesserer, sondern ein getreuer Diener seiner Meisterin, der Kunst.

Wie bei vielen Revolutionen - und als solche möchte Meese seine künstlerische Tätigkeit auch verstanden wissen - kippt zumindest die Sprache in einen kämpferischen Vortrag. Dann mutiert die Ausstellung nach des Künstlers Definition zur "Raketenabschussplattform der Totalkunst" mit integrierter Kommandozentrale. Die Grenze vom Kampf - dem auch Paulus etwas abgewinnen könnte - hin zum Krieg ist haarscharf angepeilt, beinahe schon geschrammt.

Doch dann lässt Meese die Theatralik seiner flotten Sprüche wieder in salbungsvolle Auferbauung zerplatzen. Denn auf Kurs gebracht wird diese Rakete mit dem "Erzöl Demut", eine spezifische menschliche Haltung treibt das Vehikel vorwärts, um eine bessere Zukunft zu erobern. Eine Zukunft aus Liebe, Demut, Respekt und Hermetik. Spätestens mit dem Eingeständnis der Hermetik wird klar, mit welch glasklarer Konsequenz Meese seine chaotische totale Liebeskunstinstallation baut: Als untertänigem Apostel der Kunst bleiben selbst ihm deren letzte Geheimnisse verborgen.

Jonathan Meese

Fräulein Atlantis

Essl Museum, An der Donau-Au 1, 3400 Klosterneuburg

Bis 3. 2. 2008 Di-So 10-19 Uhr,

Mi 10- 21 Uhr

Katalog: Klosterneuburg 2007,

180 Seiten, € 25,-

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