Übersetzung als Konstrukt

Werbung
Werbung
Werbung

Die Österreicherin Elisabeth Edl hat Gustave Flauberts Roman "Madame Bovary“ neu übersetzt: Trotz - oder gerade wegen - der philologisch musterhaften Qualität eine zwiespältige Sache.

Ein bitteres Buch über Ungerechtigkeit, Liebessehnsucht, vereiteltes Lebensglück. Eine tragische Geschichte von verfehlter weiblicher Selbstverwirklichung und vergeudeter männlicher Herzenswärme. Ein formvollendeter Roman über den leichten Sinn der Verführung und den tieferen Sinn der Verführbarkeit. Flauberts "Madame Bovary“ ist das Meisterwerk am Eingang der Moderne, wegweisend in seinem lakonischen Realismus und seiner formstrengen Kaltnadelkunst.

Sehnsucht ist das Hauptwort in diesem Roman. Von einer unbestimmbaren Unruhe und Sehnsucht getrieben ist die Titelfigur. Wunschträume und Verlangen ersetzen bei ihr die wirklichkeitsnahe Einschätzung ihrer Lebenswelt, entheben sie allmählich ganz ihrer tatkräftigen Mitwirkung daran.

Aber Sehnsucht hat Emma Bovary nicht nur von ihr fort-, sondern auch ganz zu sich selbst getrieben. Gegen die Zumutungen bürgerlicher Gleichmacherei fordert sie den Anspruch des Ichs auf Autonomie und Glück ein. Sie lässt sich verführen, doch die Bereitschaft dazu pulst längst in ihr. Bereits in den Musikstunden, welche die Heranwachsende genommen hat, "erahnte sie die verlockenden Gaukeleien der Liebesdinge“.

Das Fanal ihrer Subversion besteht aus Emmas Beharren auf dem Eigensinn ihres erotischen Begehrens. Liebe und Lust werden ihr zur geheimen Abwehr verordneter Unterwerfung, vorgezeichneten Lebens und seiner Geschichte. So zieht sie aus ihren Fremdgängen, aus den mutwillig eingegangenen Geheimbeziehungen ein Lebenselixier, das ihr vorerst Glück und Trost verschafft, schließlich aber toxisch wirkt, in Verrat und Verletzung mündet.

Rein äußerlich geschieht kaum mehr in dem Roman als ein doppelter Ehebruch: Eine junge Frau aus bäuerlichem Milieu wird mit dem biederen, aber gutmütigen Witwer Charles Bovary vermählt und bricht aus schierer Langeweile gleich zweimal aus ihrer Ehe aus. Allerdings geschieht das mit unabsehbaren Folgen: Sie zerstört damit nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihres Mannes - und beschädigt irreparabel das seelische Weiterleben ihres kleinen Kindes.

Sprachlicher Überschwang

Indes, nicht um die moralische Dimension des Falles ging es Flaubert. Der Autor - ein Arztsohn - wollte vielmehr seine Erzählkunst ganz aufs freie Feld naturwissenschaftlicher Sachlichkeit führen, um dort das Objektiv seines Romans ungerührt auf ein banales Beispiel bürgerlicher Ehe richten zu können.

Dazu gehört auch Flauberts ironisches Spiel mit Emmas literarischer Verführbarkeit: Der Romancier bekundet uns, dass erst das Lesen von Romanen Emma Bovary eine Scheinwelt von Liebesglück vorgegaukelt hat. Aber es sind Werke einer falsch verstandenen Romantik, denen einst auch der Autor verfallen war. Somit vollzieht Flaubert mit seinem Erzählexperiment auch einen Exorzismus an seinen eigenen, lang gehegten Gefühlsillusionen.

Am stärksten kommt das im sprachlichen Überschwang zum Ausdruck, mit dem Emma ihren Geliebten Rodolphe nervt. Als Emma Bovary diesen reichlich grobschlächtigen Verführer in heißen Worten ihrer Liebe versichert, bleibt er unberührt: "Er hatte alles schon so oft gehört, dass es für ihn nichts Besonderes mehr war. […] Er, der große Frauenkenner, sah indessen nicht, dass wohl die Ausdrucksformen dieselben waren, nicht aber die Gefühle.“

Womit wir bei dem Problem der Neuübersetzung sind. Denn so flüssig und klar steht es nicht in Elisabeth Edls vielgelobter Neufassung, sondern bei der Schweizerin Irene Riesen, die vor mehr als dreißig Jahren René Schickeles Übersetzung gründlich aufgebürstet hat. Bei Edl heißt dieselbe Stelle, zwar gewissermaßen auf Tuchfühlung mit dem Original, doch auffallend konstruiert: "Er hatte derlei Dinge schon so oft gehört, sie dünkten ihn nichts Besonderes. […] Er war außerstande, dieser erfahrene Mann, die Andersartigkeit der Gefühle zur erkennen, unter der Gleichartigkeit der Sätze.“ Klar wird hier Elisabeth Edls Ehrgeiz, die Eigentümlichkeit von Flauberts Satzstellung im Französischen, mit seinen Kadenzen und Nachstellungen, auch auf Deutsch einzufangen. Aber wie eingängig ist "unter der Gleichartigkeit der Sätze“?

Jede Sprache hat ihr eigenes syntaktisches Gelenksystem. Innerhalb dessen ist man beweglich, außerhalb indes imitiert man fremde Wort- und Satzstellungen. Mit ihrem Versuch, sich mit ihrer deutschsprachigen Version kongenial an Flauberts Original anzuschmiegen, hat sich die renommierte Übersetzerin so weit wie bisher niemand vorgewagt. Sie erreicht damit eine philologisch musterhafte Qualität, die nicht selten verblüffend neue Nuancen, versteckte Anspielungen und doppelte Bedeutungen freilegt. Als erste deutschsprachige Übersetzerin konnte sie sich zudem bei den seit kurzem im Internet zugänglich gemachten Vorarbeiten Flauberts kundig machen und somit manche bisherige Unklarheit autorisiert beseitigen.

Verkrampfungen und Verrenkungen

Ihr Verfahren erleichtert allerdings nicht durchgängig die Lesbarkeit, sondern führt mitunter zu Verkrampfungen und Verrenkungen, die den Leser stolpern lassen. Neu-übersetzungen haben oft einen Haken: Vor lauter Neuheitsdrang übernehmen sie das gute Alte auch dort nicht, wo es besser wäre. Dann wird in Neologismen geschwelgt und auf gespreizte Formulierungen gesetzt, denen man die Absicht anmerkt, allen Vorgängern auszuweichen.

Eine Schlüsselstelle von Flauberts gnadenlosem Erzählstil stellt die inbrünstige Anrufung Gottes dar, in der Emma, die von ihrem Liebhaber verlassene ehemalige Klosterschülerin, um ein himmlisches Zeichen fleht. "So wollte sie den Glauben erzwingen; doch kein Labsal kam vom Himmel, und sie stand auf mit müden Gliedern und dem leisen Gefühl von einem Riesenschwindel.“ Irene Riesen formuliert dagegen wunderbar trocken: "Das tat sie, um den Glauben zu finden: aber vom Himmel herab kam kein Trost, sie erhob sich mit müden Gliedern und dem unbestimmten Gefühl eines ungeheuren Betrugs.“ Das ist, mit Verlaub, einfach um Häuser besser als Edls so gesuchte wie viel schwächere Eindeutschung.

Völlig überflüssig demnach, dass die Neuübersetzerin im Nachwort sämtliche Vorgänger-Übersetzungen als "niederschmetternd“ maßregelt. Das Siegel jener "endgültigen und unübertrefflichen Form“, die Henry James zu Recht an "Madame Bovary“ rühmt, kommt nur dem Original zu. Alle Übertragungen indes sind unversiegelt: Sie bleiben dem vergänglichen Urteil der Zeit ausgesetzt.

Madame Bovary

Von Gustave Flaubert, hg. u. übersetzt von Elisabeth Edl, Hanser 2012, 758 S., geb., e 35,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung