Überzeugter Antifaschist, radikaler Denker

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André Glucksmann war ein radikaler Denker mit Stil, selbst dort, wo er es an politischem Weitblick fehlen ließ. Seine Wandlung vom Maoisten zu einem Verfechter der US-Politik motivierte er durch einen Anti-Totalitarismus, der aus den Erfahrungen seiner Kindheit kam. Er wurde 1937 in Frankreich als Kind osteuropäischer jüdischer Intellektueller geboren. Die Eltern waren in der Résistance, der Vater wurde deportiert und ermordet. Als überzeugter Antifaschist wurde Glucksmann nach dem Krieg Kommunist, so wie viele. Er studierte Philosophie und forschte danach an der französischen Elite-Institution CNRS zu Krieg und nuklearer Abschreckung. Im Mai 1968 stand er auf Seiten der Studenten auf den Pariser Barrikaden. Dann erschien 1974 Solschenizyns "Archipel Gulag", eine Darstellung des Lagersystems der Sowjetunion. Unter dem Eindruck dieser Lektüre rechnete Glucksmann in "Köchin und Menschenfresser - Über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager" (1975) mit dem Sowjetregime und dem Marxismus im Ganzen ab. Als führender Vertreter der "Nouvelle Philosophie" plädierte er ab nun gegen jede Form des Totalitarismus und für einen individualistischen Humanismus. Totalitarismus war für ihn nicht nur eine politische Herrschaftsform, sondern vor allem eine Denkform, eine Ideologie, die von den deutschen "Meisterdenkern" Fichte, Hegel und Marx und Nietzsche vorbereitet und grundgelegt worden war. In dem gleichnamigen, Buch beschrieb Glucksmann 1977 den Totalitarismus rechter und linker Provenienz als "radikale Herrschaft der Staatsmacht", die es zu bekämpfen gelte.

Daher unterstützte er die Aufnahme vietnamesischer Flüchtlinge, die Opfer eines totalitären Regimes waren, in Frankreich; er unterstützte aber auch 1999 den NATO-Einsatz im Kosovo und 2003 den Einmarsch der US-Armee unter Präsident Bush im Irak als eine Form der humanitären Intervention. Milosevi´c und Saddam Hussein setzte Glucksmann mit Hitler gleich, sie mussten als Vertreter des Totalitarismus bekämpft werden - eine etwas simple Sicht der Dinge. Glucksmann grenzte sich nicht nur zum Maoismus und Marxismus, sondern auch zur aufkommenden Rechten unter Le Pen klar ab. Mit "Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt" (2004) analysierte Glucksmann die nihilistische Kraft des Hasses, der sich aus Ideologien speist. Nicht Religionen sind die Ursache von Kriegen, sondern Ideologien, die Quelle des Hasses sind - ein für die Gegenwart wichtiger Befund.

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