"Übung in Entfaszination"

Werbung
Werbung
Werbung

Zum 10. Todestag: die explosive Mischung von Skepsis und Mystik des rumänisch-französischen Denkers E. M. Cioran.

Zu seinem 80. Geburtstag im April 1991 rauschte der Blätterwald, doch sein 10. Todestag am 20. Juni dieses Jahres war den Medien keine Zeile wert. So schnell vergehen die intellektuellen Moden. Ja, in den 1980er Jahren schien es tatsächlich, der rumänisch-französische Denker E. M. Cioran wäre Mode geworden, nachdem er seit seiner von Paul Celan übersetzten "Lehre vom Zerfall" ein Geheimtipp gewesen war. Sein radikaler Pessimismus war im Paris des Existentialismus ein Fremdkörper, er selbst fühlte sich als "Eremit mitten in Paris".

Eremit in Paris

Die Wüstenväter hatten es ihm Zeit seines Lebens angetan, aber auch die Mystiker. Gegen ihre Faszination stand freilich von Anfang eine luzide Skepsis, eine "Übung in Entfaszination". "Im Angesichte des Todes, der ohne religiöse Zuversicht hingenommen wird, besteht nichts, was die Menschheit für die Ewigkeit geschaffen wähnt", schrieb er schon in seinem ersten rumänischen Buch "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" - der Buchtitel bezeichnet den Ausgangspunkt seines Denkens, die in Frankreich geschriebenen "Syllogismen der Bitterkeit" oder "Vom Nachteil, geboren zu sein" sind Kurzformeln seines Blicks auf ein "Dasein ohne Endergebnis". Buddhismus und Hinduismus haben Cioran fasziniert, vor allem aber die außenseiterischen Bewegungen des Christentums, die nicht an eine gute Schöpfung glaubten: Manichäer, Katharer und die balkanischen Bogumilen. "Der Mensch ist unannehmbar", schrieb Cioran lapidar in einem seiner letzten Werke.

Wer das Glück hatte, diesen philosophischen Befürworter des Selbstmordes in seiner Mansardenwohnung im Quartier Latin zu treffen, war erstaunt über die freundliche Zugewandtheit und intellektuelle Neugier, die ihm entgegenkam. Und über das schöne balkanisch gefärbte Deutsch seiner Jugend, das seinen radikalen Sprachwechsel von Rumänisch zu Deutsch unbeschädigt überstanden hatte und sich auch in prägnanten Briefen niederschlug.

Paris war nicht seine erste Heimat, auch nicht das siebenbürgische Hermannstadt, wo er zur Schule ging und die prägenden Jugendeindrücke erhielt, sondern der in zwölf Kilometer Entfernung liegende kleine Ort RØa¸sinari. Fährt man diese Strecke heute mit einer exotischen Straßenbahn an Wiesen und Feldern vorbei, kommt man in ein Dorf, wo Pferdefuhrwerke und Autos sich noch die Wage halten und Gänse am Bach spazieren. Und daneben steht, mit einer kleinen Gedenktafel versehen, der Pfarrhof, wo Ciorans Vater orthodoxer Pope war - eine produktive Umgebung für den Großmeister zersetzender Ironie, der sich gerade an der Religion abarbeitete und sich mit einem Satz von Flaubert identifizierte: "Ich bin ein Mystiker und ich glaube an nichts."

Mystik ohne Glauben

Den Jugendfreund des Religionsphilosophen Mircea Eliade faszinierte Religion trotz der Kirchen und Glaubenssysteme: "Ich möchte nicht in einer Welt leben, die bar jeden religiösen Gefühls wäre. Ich denke nicht an den Glauben, sondern an dieses innere Beben, das einen - unabhängig von welchem Glauben auch immer - zu Gott schleudert und manchmal über ihn hinaus." Atheistische Beruhigung war ihm fremd, in vielen Varianten formulierte er den scharfen Schmerz des Religionsverlustes: "Seit langem habe ich alles verbraucht, was ich an religiösen Vorräten hatte. Austrocknung oder Läuterung? Ich wüßte es nicht zu sagen. In meinem Blut ist kein Gott mehr vorhanden...."

Ciorans Biografie ist noch nicht geschrieben; zur jugendlichen Faszination durch die faschistische "Eiserne Garde" hat er sich selbst bekannt. Eine Edition seiner Briefe bleibt abzuwarten, die verstümmelte deutsche Ausgabe der Arbeitshefte (Cahiers) erschien vor fünf Jahren. Aber sein Werk liegt auf deutsch vor und ist noch immer ein Lesegenuss und gleichzeitig ein ätzendes Gift gegen alltägliche Gewissheiten und (nicht nur religiöse) Glaubenshaltungen.

Der Autor veröffentlichte die erste Cioran-Monografie: "Skepsis, Mystik und Dualismus", Bonn 1985.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung