Ultimativ menschenfreundlich

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Ich lese in der Zeitung, was der Papst in Auschwitz gesagt hat. Ich lese in der Zeitung, wie viele Tote das Erdbeben auf Java gefordert hat. "Wo war Gott in jenen Tagen?", fragte der Papst. "Warum hat er geschwiegen? Wie konnte er dieses Übermaß von Zerstörung, diesen Triumph des Bösen dulden?" Er meinte die Morde in Auschwitz. Hätte er auch die Toten auf Java meinen können?

Wenn man die Schuldfrage stellt, haben der geplante Massenmord und die Naturkatastrophe kaum etwas miteinander zu tun. Hier der Mensch des Menschen Feind, dort die Natur. Die Vorstellung, dass hinter der Natur ein Gott agiert, der mit Flutwellen und Vulkanen spielt, ist zwar nicht ganz auszurotten, darf aber doch als antiquiert gelten. Gibt es also niemanden, den man zur Verantwortung ziehen kann?

Auffallend ist, mit welcher organisatorischen Kreativität und Intelligenz nicht nur die Menschentötung damals in Szene gesetzt wurde; bis heute ist der Krieg eine Herausforderung für den Ideenreichtum der Wissenschaftler und Militärs. Dagegen ist die Vorsorge für erdbebensichere Bauten nachlässig, werden brüchige Dämme zu spät verstärkt, läuft die Hilfe nach Katastrophen schwerfällig an. Viel schneller sind die Eingreiftruppen beim Zerstören als beim Wiederaufbau.

Opfer der unberechenbaren Natur sind immer auch Opfer menschlicher Versäumnisse und Fehlinvestitionen. Sie haben ebenso wie die Opfer von Terror und Krieg das Recht zu fragen, wie Gott so viel Menschenverachtung zulassen kann. Kann er sie aber verbieten? "Wir können in Gottes Geheimnis nicht hineinblicken", sagte der Papst. Er hätte auch sagen müssen, dass Gott nicht nur allmächtig ist. Vielmehr auch ohnmächtig und als Opfer menschlicher Gewalt selbst die ultimative Herausforderung für Menschenfreundlichkeit.

Der Autor ist freier Journalist.

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